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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit
Autoren: Andrej Djakow
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streckte. Durch den Schein der Fackel huschten chitingepanzerte Gliedmaßen. Der Krieger an der Spitze des Trupps taumelte und hätte beinahe losgeschrien. Ein mindestens einen Meter langer Hundertfüßer hatte sich um sein Bein geschlungen und in seinen Oberschenkel verbissen. Die anderen Krieger stürzten sofort herbei, um ihren Weggefährten zu retten. Während des Kampfs entfuhr ihnen kein Laut. Es kostete wertvolle Sekunden, die sich windende Bestie von ihrem Opfer wegzuzerren. Schließlich durchbohrte eine Speerspitze den Kopf des Hundertfüßers und nagelte ihn am Boden fest. Doch seine Giftklauen hatten ihr Werk bereits verrichtet.
    Der Anführer untersuchte den Verletzten. Die Bissstelle lief blau an, und man konnte förmlich dabei zusehen, wie das Bein anschwoll. Der Krieger wand sich in Krämpfen und stöhnte. Seine Augen rollten in den Höhlen. Der Anführer hielt dem Sterbenden mit der Hand den Mund zu und wartete, bis auch die letzten Zuckungen aufhörten.
    Für einen würdigen Abschied blieb keine Zeit. Jede Verzögerung konnte das Scheitern ihrer Mission bedeuten. Der Anführer warf den Leichnam in den nächsten Kanalisationsschacht und trieb seine Leute weiter voran, einem Ziel entgegen, das allein ihm bekannt war. Nach einigen weiteren Abzweigungen und Korridoren standen sie endlich vor jener ominösen Tür mit dem kleinen, runden Fenster in der Mitte. Durch die trübe Scheibe sickerte heimeliges Licht.
    Einer der Krieger klemmte sich ein Messer zwischen die Zähne und kletterte auf den Querbalken über der Tür. Die Übrigen versteckten sich um die Ecke und hielten ihre Waffen bereit. Der Anführer selbst warf die Atemschutzmaske weg, fügte sich an der Hand einen kleinen Schnitt zu und verschmierte das hervorquellende Blut im Gesicht. Dann donnerte er mit der Faust gegen die Tür, legte sich rücklings auf den Boden und streckte alle viere von sich.
    Im Fenster erschien eine dunkle Silhouette. Die Krieger warteten geduldig und wagten kaum zu atmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit quietschte kaum hörbar der Schließmechanismus der hermetischen Tür. Der Krieger auf dem Querbalken fletschte seine verfaulten Zähne …
    »Das ist doch alles Unsinn!«
    »Woher wollen die denn Senfgas nehmen?«
    »Die bluffen!«
    »Wir sollten den Alten einholen und ihn als Geisel nehmen!«
    »Machen wir doch kurzen Prozess: Die Station stürmen, alle umlegen und Ende!«
    Die Versammlung kochte. Die Abgesandten zerrissen sich das Maul über den siechen Greis und überboten einander mit markigen Sprüchen, wie lächerlich seine Drohung gewesen sei.
    Ein paar der Anwesenden verzichteten jedoch darauf, sich an dieser ebenso hitzigen wie fruchtlosen Debatte zu beteiligen. Unter ihnen war auch ein braunhaariger, breitschultriger Typ, an dessen Marinejacke das Abzeichen der Primorski-Allianz – die geballte Faust in einem weißen Kreis – prangte. Der Mann hatte die ganze Zeit über kein Wort verloren, doch als er sich nun von seiner Bank erhob, brach das Palaver schlagartig ab.
    »Reden kann man viel, wenn der Tag lang ist«, lästerte er. »Aber so wie ich das sehe, arbeitet die Zeit gegen uns. Stalker haben beobachtet, wie die Seeleute von der ›Babylon‹ sich zur Tschkalowskaja durchgeschlagen haben. Sie sind tatsächlich bis an die Zähne bewaffnet und verfügen über Ausrüstung, von der wir nur träumen können. Sie sind jederzeit in der Lage, zu den Lüftungsschächten in der Stadt oben vorzudringen. Da helfen auch keine Patrouillen . A ußerdem werden sich die Stalker wohl kaum auf einen Krieg an der Oberfläche einlassen. Die sterben auch so schon wie die Fliegen.«
    »Einen Sturmangriff auf die Tschkalowskaja können wir auch vergessen«, warf ein Admiralze ein, der rechts daneben saß. »Die Zugänge zur Station sind vollständig abgeriegelt, da ist kein Durchkommen. Überall MG -Nester. Und Flammenwerfer in den Lüftungsschächten. Sie haben sich ziemlich professionell verschanzt.«
    Ein Moskowiter auf der gegenüberliegenden Seite sprang auf und schüttelte die Faust.
    »Wir hätten den alten Sack gleich hier umlegen sollen«, zeterte er. »Oder als Geisel nehmen.«
    »Auf dem Territorium des Handelsrings wird niemand umgelegt!«, versetzte Pantelej mit rutschender Brille. »Eine gute Geisel hätte der Mann auch nicht abgegeben. Oder glaubt ihr im Ernst, dass sie rein zufällig einen hinfälligen Greis als Unterhändler geschickt haben? Lasst uns lieber gemeinsam überlegen, wer hinter dem Anschlag stecken
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