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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
Autoren: dtv
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diesem Bengel fahren.«
    Das Wort Bengel stach mich wie eine Wespe. Aber Mrs Bister fuhr ungerührt fort und wir lauschten angestrengt.
    »Ich habe versucht, den Vater in … von wo, sagte er, kommt er? Aus Cairo, Illinois. Kein einziger Eintrag unter Ogilvie«, entgegnete Claires Vater.
    Mein Atem stockte. Natürlich gab es keinen Eintrag! Es war 1926 . Dad hatte erst 1928 ein Telefon für uns angeschafft, zwei Jahre später. Ich hätte ihn ohnehin nicht anrufen können.
    »Mein Lieber, ich möchte dieses Kind nicht im Haus haben, damit es Claire Flausen in den Kopf setzt. Gott weiß, ob sie nicht wieder wegläuft!«
    Claires Vater grunzte.
    Mrs Bister fuhr fort: »Unsere Tochter soll nicht mit solchem Gesindel verkehren! Ich will den Jungen einfach nicht im Haus haben. Er ist seltsam!Geld von 1931 , nicht zu fassen! An diesem Kind ist irgendetwas durch und durch faul. Maxwell findet das auch. Liebling, bitte ruf ein Taxi und bring ihn ins Jungenheim auf der hundertundersten Straße West, sei bitte so gut.«
    Kaffee wurde serviert. In der nächsten Minute hörten wir Robert Bisters Stimme am Telefon. »Gut so, Bruno«, sagte er. »Winken Sie mir in fünf Minuten ein Taxi her. Wir fahren zur Westside. Der Fahrer kann dort warten. Wir fahren gleich wieder zurück. Evelyn und ich sind zu einer Silvesterparty eingeladen. Wir müssen uns umziehen.«
    Ich hörte die bekannten festen Schritte auf den Treppenstufen. Claires Vater summte Jingle Bells . Er verstummte, um sich eine Pfeife anzuzünden. Ich konnte das Klicken seines Feuerzeugs hören. Ein Stockwerk über ihm sausten Claire und ich durch den Flur und in Claires Zimmer zurück.
    »Jungenheim? Was soll das sein?«, fragte ich verzweifelt. »Ein Waisenhaus? Eine Klapsmühle? Eine Erziehungsanstalt?«
    »Alles auf einmal!«, sagte Claire unglücklich.
    »Aber Claire, wenn ich ins Jungenheim gesteckt werde, seh ich meinen Dad nie wieder.«
    Mit Tränen in den Augen kniete sich Claire vor die Modelleisenbahn. »Das ist die einzige Möglichkeit, Oscar«, sagte sie. »Mach dich bereit – er kommt die Treppe herauf, um dich abzuholen.«
    »Warte!«, sagte ich. »Meine Brieftasche! Sie ist im Dienstmädchenzimmer, in der Tasche meiner zu großen Hose. Alle meine Fahrscheine sind dort drin! Sie werfen mich aus dem Zug, wenn ich keinen Fahrschein habe!«
    Claire sprang auf und stürzte zu ihrer Kommode. Darauf stand ein Sparschwein aus Porzellan. Sie zertrümmerte es und häufte eine Menge Geld in meine Hände.
    »Leb wohl, Oscar!«, sagte sie. Die Worte blieben ihr in der Kehle stecken, aber sie kniete sich wieder hin und drückte den Vorwärtsschalter des Twentieth Century.
    Ihr Vater klopfte an der Zimmertür. »Oscar, bist du da?«, fragte er höflich und klopfte noch einmal.
    »Komm mit mir, Claire!«, rief ich plötzlich. Ich stopfte das Geld in meine Taschen und griff nach ihrer Hand. »Spring, Claire!«, schrie ich. »Spring!«
    Die Tür ihres Zimmers flog auf. Aber RobertBister kam eine Sekunde zu spät. Mit vorgestreckten Armen wie ein Kunstspringer stieß ich mich ab und sprang hoch in den Himmel von New York. Im letzten Moment glitt Claires Hand aus meiner. Claire, ihr Zimmer und ihr Vater verglommen hinter mir wie Sterne in einem Sonnenaufgang.

»Guten Morgen, Mister Geldsack!«, sagte eine bekannte Quengelstimme.
    Der Geschmack in meinem Mund und der Geruch in meiner Nase waren ekelerregend, aber sie waren mir nicht neu: Lysoform kombiniert mit Fischstäbchen aus der Dose. Eindeutig Krankenhaus. Ich öffnete die Augen und hob den Kopf, um zu schauen, bis wohin meine Füße im Bett reichten. War ich sechs oder wer weiß wie alt? Meine Füße unter der Bettdecke waren ungefähr einen Meter dreißig von meinem Kinn entfernt. Ich war wieder elf, mein wahres Alter. Ich versuchte, einen Seufzer der Erleichterung auszustoßen, aber meine Brust war in einen straffen Verband eingezwängt. Ich hing an einer Tropfflasche, die mit einem Schlauch verbundenwar, der an einer Nadel endete, die in meiner Hand steckte und mit Heftpflaster festgeklebt war. Das war höchst beunruhigend.
    »Ist diese Nadel in deiner Hand für etwas gut?«, fragte die Stimme am Kopfende meines Bettes. Es war Willa Sue.
    Ich konnte ihr nicht antworten. »Wo bin ich?«, krächzte ich. Aber wenn Willa Sue hier war … und das ein Krankenhaus war … dann konnte das nur heißen … ja, tatsächlich, in die Laken war überall METHODISTENHOSPITAL CAIRO eingestickt. »Wo ist mein Dad?«, fragte
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