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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
Autoren: dtv
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nichts, was wir auf den Tod nicht ausstehen konnten, wie Leber oder Spinat.
    Ich kaufte alles, was wir zum Leben brauchten, nach der Schule im Laden an der Ecke und ließ anschreiben. Dann trug ich die Lebensmittel nach Hause, legte sie auf den Küchentisch und fing an, unser Abendessen vorzubereiten.
    Wir kamen ganz gut allein zurecht, Dad und ich. Dad hatte eine feste Anstellung bei der John Deere Company, wo er Traktoren an die Farmer verkaufte. Er hatte sich sogar ein Telefon angeschafft, sehr zurMissbilligung von Tante Carmen. Ich für meinen Teil putzte regelmäßig meine Schuhe und machte pünktlich meine Hausaufgaben. Dad und ich waren uns einig: Wir brauchten überhaupt keine neue Frau. Also tauchte diese Frau auch niemals auf. Und das war gut so. Eine Frau hätte sich dauernd die Lippen angemalt und mir Lebertran zu trinken gegeben.
    Unsere erste Modelleisenbahn-Anlage hatte Dad aufgebaut, um sich von seiner Trauer abzulenken. Es war ein einfaches Gleisoval. Er machte die Bahnstation aus Lindenholz, kürbisgelb bemalt wie der wirkliche Bahnhof in Cairo. Er bastelte acht kleine Signale und bemalte sie weiß, mit der Aufschrift Cairo in Blau, genau wie die wirklichen Signale. Ich hängte sie mit verchromten Schlüsselanhänger-Kettchen an die Dachrinne des Schindeldachs. Wir legten Schienen, die nach Osten und Westen führten. Für die Gleisbetten hatten wir vorsichtig Vogelsand auf eine Unterlage aus Tapetenkleister gestreut.
    Dann bestellte Dad aus dem Lionel-Katalog Signale und eine elektrisch betriebene Schranke, zusammen mit unserem ersten Zug, einem normalen Güterzug. Dad nahm einen Marderhaarpinsel, der vielleicht sechs Haare hatte. Er malte mit Goldfarbe Soo Line ›Happy Warrior‹ , Glücklicher Krieger, auf die Außenwand der Lokomotive, genauso wie das wirkliche Firmenemblem der Soo Line Company, der ersten amerikanischen Eisenbahngesellschaft. Unser Glücklicher Krieger hatte einen Holztransporter mit Baumstämmen so lang wie Zigarillos, zwei Viehwaggons, einen Kohlenwaggon, einen Bremswagen und einen Kühlwaggon mit kleinen gläsernen Eisblöcken im Innern.
    Dem Glücklichen Krieger folgte ein Personenzug, den wir den Südküsten-Express nannten. Wir führten ihn als Pendlerzug von Chicago zu den Dünen von Indiana und zurück. Die Waggons waren im Innern mit richtigen elektrischen Lichtern ausgestattet. Der Südküsten-Express verband drei Bahnhöfe miteinander. Sie kamen von der Ives Company, die die detailreichsten Bahnhöfe herstellte.
    Dann kaufte uns Dad die größte Dampflok, die es in dem Katalog gab. Es war eine Lokomotive der 260 er-Serie, mit Scheinwerfern auf beiden Seiten, einer rot, einer grün. Unter dem Dampfkessel war ein rotes Licht, das die Kohlen glühen ließ. Der Anstrich war in Kupfer und Messing, die Räder hatten Antriebsspeichen mit Nickelfelgen. Sie zog Güterwagenund drei Personenwagen. Wir nannten sie, nach den Choctaw-Indianern, die Choctaw-Rakete von der Rock Island Line. Unsere erste Tischplattenanlage war jetzt zu klein. Wir gingen daran, die westlichen Berge aufzubauen. Zuerst formten wir die Gebirgsstöcke aus steifem Fliegengittergewebe. Darauf trugen wir eine Gipsschicht auf und malten diese dann granitgrau an. Schließlich wurde das Ganze mit Sand, Klebstoff und einem grünen Pulver aus der Drogerie besprenkelt.
    »Du wirst das Zeug doch nicht schlucken, Oscar?«, fragte Hop Shumway meinen Dad, als er eine Schachtel mit dem grünen Pulver über den Ladentisch schob.
    »Im Gegenteil, Hop«, antwortete Dad. »Wir werden die Transkontinentalbahn bauen.« Und das taten wir.
    Die Unterlage für die Berge, Schluchten und Brücken war aus gekreuzten hölzernen Querbalken gezimmert, wie das Stützgerüst einer Achterbahn. Ein Tunnel führte durch die Berge. Der Fluss, der unter der Eisenbahnbrücke hindurchfloss, war aus blau bemalter silbriger Metallfolie. Die kleinen Wellen waren durchsichtige Linien aus Spezial-Klebstoff,wie er zum Bau von Modellflugzeugen verwendet wird. Die Schienen nahmen die ganze Länge und die volle Breite unseres Kellergeschosses ein. Bald hatten wir zwei Tische und drei Tunnels.
    »Du bist total verrückt, Oscar«, sagte Tante Carmen, als sie am Erntedanktag zum Abendessen kam und fragte, was denn da unten im Keller so nach Schellack rieche. Meine Cousine, Willa Sue, die Lichtjahre jünger als ich war, starrte verwirrt auf die Eisenbahnanlage.
    »Fass bloß nichts an. Du könntest einen Stromschlag bekommen, Willa Sue«, sagte Tante
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