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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
Autoren: dtv
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Sue verließ an der Hand von Tante Carmen mein Krankenzimmer. Sie versprachen, mit meinem Dad wiederzukommen, sobald er mit dem Zug eingetroffen war.
    Die Krankenschwester brachte das Mittagessen.Gebackene Fischfrikadelle. Ich ließ die Mahlzeit unberührt unter ihrem Metalldeckel auf einem Tablett neben meinem Bett stehen. Als ich nachmittags wieder aufwachte, war das Essen kalt.
    Auf dem Tablett sah ich, ordentlich zusammengefaltet, die Zeitung von heute liegen. Ich schlug die Titelseite auf. Es war der 3 . Januar 1932 . Ich war nur zehn Tage fort gewesen. Dad war noch immer auf der Indian Grove Ranch. Die Tip-Top-Ranch lag Jahre voraus in der Zukunft, und es gab keinen Krieg, in den ich einrücken musste. Alles war normal, und das Allerbeste: Mein Dad war auf dem Weg hierher. Ich las weiter.
    VERBRECHER-DUO GEFASST!
    DOPPELTER COUP – BANKRAUB UND KINDESENTFÜHRUNG – AUFGEKLÄRT!
    Doppelt? , sagte ich zu mir selbst. Doppelt? Neugierig las ich weiter.
    2 . Jan. 1932 . Inspektor Gates vom Federal Bureau of Investigation ( FBI ) gab gestern Nachmittag gegen 17.00 Uhr bekannt, dass zwei Gangster, MickeyStackpole und Buck McGee, in El Paso, Texas, von der Polizei verhaftet werden konnten, als sie gerade die Grenze nach Mexiko passieren wollten. Fast die gesamten, bei dem Einbruch in die Bank von Cairo am Heiligen Abend erbeuteten $ 50.000 konnten bei ihnen sichergestellt werden. Laut Inspektor Gates handelt es sich bei Stackpole und McGee um zwei Wiederholungstäter. Er erwartet, dass sie zu einer lebenslangen Strafe in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt werden. Die beiden werden wegen schweren Raubs und Kindesentführung angeklagt.
    Wie in der gestrigen Ausgabe dieser Zeitung berichtet, wurde der elf Jahre alte Junge, den die Verbrecher gekidnappt hatten, in kritischem Zustand vor der Chicago Union Station entdeckt. Er befindet sich auf dem Wege der Besserung. Unmittelbar vor Erscheinen dieser Ausgabe war der Junge, Oscar Ogilvie junior aus Cairo, in der Lage, die Beschuldigten zu identifizieren und ihre Namen zu nennen. Die versprochene Belohnung wird vom Präsidenten der Bank zur Gänze ausbezahlt. »Es erfüllt mich mit tiefer Befriedigung«, soll Mr Pettishanks von der Bank wörtlich gesagt haben.
    Ich fragte die leere Luft: »Aber was ist mit Mr Applegate? Ist er vom Erdboden verschwunden? Er war in jener Nacht also nicht mehr in der Bank. Er wurde auch nicht ermordet. Wo war er?«
    Die Krankenschwester steckte den Kopf zur Tür herein.
    »Du hast Besuch!«, zirpte sie. »Bist du kräftig genug, um ein wenig Schokolade zu schlecken?«
    Schokolade? Wer würde mir Schokolade bringen? Ich sah dem Besucher erwartungsvoll entgegen. Er schlurfte herein, rotwangig, mit zerknittertem Hemd, und blickte verlegen drein. Er brachte eine Schachtel Pralinen, die er unterwegs schon aufgemacht hatte, wie deutlich zu sehen war. Es war Cyril. Da 1932 gerade erst begonnen hatte, war Cyril natürlich noch immer der Fünftklässler, den ich gekannt hatte. Er hatte noch keinen Fuß in die Militärakademie von Missouri gesetzt. Cyril hatte noch genau zehn Jahre Zeit, um ein rachsüchtiger Widerling in Uniform zu werden.
    »Mein Vater hat gemeint, ich soll dich besuchen«, sagte Cyril, »weil du die Belohnung verdient hast und alles.« Er schaute auf meine Infusion und die Farbe wich aus seinen Wangen. Er reichte mir diegeöffnete Pralinenpackung. »Die schickt er dir zur Genesung. Tut mir leid, dass ich die Schachtel schon aufgemacht und im Aufzug ein paar gegessen habe.«
    »Es tut mir leid, dass ich dich bloßgestellt habe, Cyril«, sagte ich. »An dem Tag mit Kiplings ›Wenn‹-Gedicht. Ich wollte nicht, dass du dafür büßen musst.«
    »Na ja, schon gut«, sagte Cyril, schaute auf den Boden und schob die Hände in die Taschen. »Ist das eine Nadel, die da in deiner Hand steckt?«
    »Genau«, antwortete ich.
    »Puh!«, sagte er und setzte sich auf den Boden statt auf den Stuhl.
    Ich lehnte mich in meinem Bett zurück. Nun, da ich wusste, was eines Tages geschehen würde, gingen mir alle möglichen Dinge durch den Kopf. Ich fragte mich, ob Cyril jemals zu einem netten Menschen heranwachsen würde, wenn sein Vater ihn nicht auf die Militärschule schickte. »Cyril«, sagte ich, »ich habe etwas, das du vielleicht sehen möchtest.«
    »Was?«, fragte er.
    »Siehst du meinen blauen Mantel, der an dem Haken dort hinter der Tür hängt? Greif in die Tasche. Schau nach.«
    Cyril stand auf. »Es ist das verdammte Gedicht«,
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