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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1
Autoren: Michelle Zink
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wohin ich gehen werde. Ich brauche Zeit. Zeit, um meine Kenntnisse über die Anderswelten zu erweitern und über die Gaben, die ich immer noch kaum kontrollieren kann. Ich brauche einen Ort, wo ich mich sicher fühlen kann, und sei es auch nur für eine Weile.«
    »Hab keine Sorge.« Sie blickt mir in die Augen. »Ich weiß genau den richtigen Platz für dich. Natürlich gibt es keine Garantie. Aber dort ist es so sicher wie nur möglich.«
     
    »Edmund.« Meine Stimme zittert.
    Er poliert die Kutsche mit langen, langsamen Bewegungen. Sein Rücken ist dem Eingang des Kutschhauses zugewandt. Er hält inne, als er meine Stimme hört, die Hand immer noch an der schimmernden Flanke des Gefährts
liegend, das vermutlich seit drei Tagen - seit Henrys Tod - ununterbrochen geputzt wurde. Er dreht sich um und schaut mir in die Augen, und ich wünschte, er täte es nicht, denn in ihnen liegt ein solcher Kummer, solch nacktes Leid, dass es mir schier den Atem raubt.
    Ich gehe auf ihn zu und lege ihm die Hand auf die Schulter. »Es … es tut mir so leid, Edmund. Ich weiß, was dieser Verlust für Sie bedeutet.«
    Die Worte bleiben zwischen uns hängen, und ich überlege einen Moment, ob er nicht entsetzlich zornig auf mich ist. Wird er mir je vergeben, dass ich den Jungen verlor, den er so innig liebte?
    Aber als er mich anschaut, liegen Überraschung und Freundlichkeit in seinem Blick. »Danke«, sagt er und nickt. »Auch Ihnen mein Beileid.«
    Ich zögere und dann bitte ich ihn um einen Gefallen. Es fällt mir nicht leicht, schon gar nicht jetzt. Trotzdem gibt es etwas, das ich erledigen muss, und ich kann es nicht ohne Edmunds Hilfe.
    »Ich muss in die Stadt fahren, Edmund. Ich … ich muss James sehen. Und es muss heute Abend sein. Wollen Sie mich hinfahren?« Die Barriere zwischen uns ist gefallen. Ich weise keinen Dienstboten an, mich in die Stadt zu bringen. Ich bitte Edmund. Er ist der Mensch, der einem Vater am nächsten kommt.
    Er nickt ohne Umschweife und greift hinter sich nach seinem Hut. »Für Sie tue ich alles, Miss. Alles.« Mit diesen Worten öffnet er die Kutschentür.

    Das Licht, das aus dem Buchladen fällt, schimmert schwach in der aufkommenden Dämmerung. Edmund bleibt geduldig und wortlos neben dem geöffneten Verschlag der Kutsche stehen, als wüsste er, wie schwer die nächsten Minuten für mich sein werden. Als ob er mir die Zeit geben wollte, die ich brauche.
    Ich habe versucht, meine Worte einzuüben, habe mir überlegt, wie ich James die Prophezeiung und die Rolle, die ich darin spiele, erklären will, und auch den Grund, warum ich fortgehen muss, wenn auch nur für eine Weile. Aber nichts davon garantiert mir, dass James es für angemessen erachtet, mich auch danach noch zu lieben, und so habe ich mich für keine meiner Versionen entscheiden können. Ich werde einfach die richtigen Worte finden müssen und darauf vertrauen, dass das, was ich sage, einen Sinn ergibt.
    Ich steige aus der Kutsche und gehe mit raschen Schritten auf den Buchladen zu. Erst als er mich anspricht, wird mir bewusst, dass Edmund mir auf dem Fuße folgt.
    »Ich werde hier auf Sie warten, Miss.« Er lehnt sich neben der Tür an die Hauswand, und seine Haltung bedeutet mir, dass er keinen Widerspruch dulden wird. Ich lächle ihn leicht an und trete dann in die Wärme des Ladengeschäfts.
    Den Geruch einatmend, bleibe ich einen Moment lang einfach nur stehen und versuche, mir alles einzuprägen. Ich weiß nicht, wann ich zurückkehren werde. Ich habe mich an diese kurzen Augenblicke voller Melancholie gewöhnt,
diese Augenblicke, wenn mir all das bewusst wird, was ich zurücklasse. Es hat keinen Sinn, dagegen anzukämpfen.
    »Lia!« James schlägt den Vorhang zurück, der das Hinterzimmer vom Verkaufsraum abtrennt. Schnell durchquert er den Laden und ich sehe die Sorge in seinen Augen. »Was tust du hier? Ist etwas passiert?«
    Ich schaue hinunter auf meinen Rock und wappne mich für die unbegreiflichen Worte, die ich aussprechen muss. Als ich ihm wieder in die Augen schaue, möchte ich mich am liebsten in seine Arme werfen, mich in dem Trost verlieren, den ich dort finden würde, all das vergessen, was zwischen uns steht.
    »Ich… Nein, mir geht es gut. Zumindest leidlich. Vermutlich könnte man sagen, es geht mir den Umständen entsprechend.« Ich versuche es mit einem tapferen Lächeln, aber ich bin vermutlich nicht besonders überzeugend, denn James zieht mich in seine Arme.
    »Lia … Oh Lia! Ich wollte dich sehen. Ich
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