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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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erkennen, dass tief und verborgen in meinem Inneren energetisch aufgeladene destruktive Kräfte wirken, die mein Denken, Fühlen und Handeln gegen meine wahren Bedürfnisse und Interessen motivieren, beeinflussen und sogar bestimmen. Ihre Macht zwang mich, ohne dass ich mir dessen jemals bewusst werden konnte, echte liebende Bezogenheit zu anderen Menschen abzuwehren. Denn sie begrenzten von Kindheit an die natürliche Entwicklung meiner Fähigkeit zur Liebe und in meinem späteren Leben auch die Erfüllung lustvoller Sexualität in meinen erotischen Beziehungen. Die Fähigkeit zur Liebe aber ist neben der objektiven Wahrnehmung unserer Außenwelt und einer realistischen Auffassung von den eigenen Möglichkeiten ein wesentliches Kennzeichen seelischer Gesundheit. Gemessen daran, das wurde mir in meiner Therapie sehr schmerzvoll klar, bin ich ein Schwergestörter.
    Heute bin ich davon überzeugt, dass ich in der Tiefe meines Daseins von der Liebe bereits weitgehend abgeschnitten war, als ich 1948 von meinen traumatisierten Eltern hineingezeugt wurde in diese Welt der Nachkriegszeit. «Du warst ein gewolltes Kind», hat meine Mutter einmal beiläufig zu mir gesagt. Ich zweifele nicht daran, denn sie hatte mich zum Träger ihrer Hoffnungen gemacht, lange bevor ich im November 1948 in einem kleinen Dorf im Harzvorland geboren wurde. Dorthin hatte es meine Eltern mit meinem vier Jahre älteren Bruder nach der Vertreibung aus ihrer angestammten schlesischen Heimat im heutigen Polen verschlagen. Die Ereignisse des Krieges lagen gerade dreieinhalb Jahre zurück. Die Freude und Erleichterung, Krieg, Vertreibung und Gefangenschaft unbeschadet überlebt und sich wiedergefunden zu haben, konnten die aufgestauten Gefühle aus den erlittenen seelischen Verletzungen nicht auflösen. Insbesondere die brutale Gewalt an meiner Mutter, als die Front im Januar 1945 ihr Heimatdorf erreichte, und die nicht weniger brutalen Geschehnisse der Vertreibung wenige Monate später überschatteten die Beziehung meiner Eltern latent. Mein Bruder, der den wochenlangen Fußmarsch meiner Mutter als damals Einjähriger gerade noch überlebt hatte, wurde zum Ersatzventil des Gefühlsstaus in der Beziehung meiner Eltern. Er und mein aus der Gefangenschaft zurückgekehrter Vater fanden nie mehr wirklich zueinander. Es war belastend, mitzuerleben, wie mein Bruder bereits bei geringem Anlass die Abneigung unseres Vaters zu spüren bekam. Dass meine Mutter als die emotional Stärkere aus ihrem starren, konservativen Erziehungsverständnis heraus in diesem Konflikt die still Duldende blieb, machte die familiäre Situation nur noch bedrückender.
    Nicht weniger prekär war die soziale Lage meiner Eltern. Alles, was sie als junge Verheiratete in ihrer Heimat gespart und sich geschaffen hatten, war bis auf ein paar wenige Habseligkeiten verloren. Und nun waren sie noch gezwungen, in einem Umfeld neu zu beginnen, das ihnen als unwillkommenen Fremden und «Umsiedlern» alles andere als wohlwollend gegenüberstand. Nur vor diesem Hintergrund wird die Hoffnung meiner Mutter verständlich, die sie mit der Entscheidung für mich als ihr zweites Kind verband: Werde unser Neubeginn! Mach mein Leid vergessen! Bring Frieden in unsere Familie! Sei mein Sonnenschein! Ich habe diese mit ihrem tiefen Schmerz gepaarte Hoffnung als Lebensauftrag verinnerlicht.
    Als meine Mutter acht Monate nach meiner Geburt ungewollt erneut schwanger wurde und mein jüngerer Bruder auf die Welt kam, eskalierte ihre innere Situation. Überfordert mit drei kleinen Kindern, den schwierigen sozialen Bedingungen und einem Mann, der sich in Konkurrenz mit seinen Söhnen von ihr vernachlässigt fühlte, konnte sie das in ihr Aufgestaute nicht mehr kompensieren. Sie erkrankte schwer an einer Epilepsie und stand in der Folge durch ihre häufigen schweren Anfälle immer weniger zur Verfügung. Der sich zuspitzende Mangel an mütterlicher Zuwendung wurde zur Katastrophe für mich. Ich reagierte mit einer akuten Diphtherie, die sie erst bemerkte, als es bereits lebensbedrohlich für mich wurde. Sie musste mich für längere Zeit in eine Klinik geben.
    Diese Trennung von meiner Mutter zu einer Zeit, als ich in meinem Schutzbedürfnis noch stark von ihr abhängig war, und die gleichzeitige akute Erstickungsbedrohung konfrontierten mich als damals Zweijährigen mit der elementarsten menschlichen Angst. «Vertrauen auf die Quelle der Liebe führt zu Ablehnung, Trennung und Verlust! Verlust aber bedeutet
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