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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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einer anderen Intimität mit mehr Herzlichkeit und vertrauensvoller Hingabe zu finden.
    Mitunter schon eindringlich versuchte ich immer wieder aufs Neue, meine Partnerin an meinen durch die Selbsterfahrung gewonnenen Erkenntnissen teilhaben zu lassen, natürlich mit der Erwartung, sie müsse doch irgendwann die Aufrichtigkeit meines Angebotes erkennen und sich ihrerseits öffnen. Dies war nach meiner Überzeugung der einzige Weg, um gemeinsam aus der Übertragung zu finden. Was mich selbst aber trotz aller Klarheit in der Übertragungsfalle gefangen hielt, war die unter meinen Bemühungen verborgene, latente Einstellung: «Ich bin lange genug in Therapie und weiß besser als du, was für unsere Partnerschaft gut ist.» Oder: «Wenn du dich nicht öffnest, kann ich dir nicht vertrauen.» Mit dieser verdeckten Einstellung lieferte ich geradezu die Rechtfertigung für die Abwehrhaltung meiner Partnerin. So erlebte ich meine Beziehung zunehmend als Sackgasse der Enttäuschungen und der Ratlosigkeit, aus der ich mich immer mehr emotional zurückzog, ohne wahrzunehmen, dass ich eine wirklich ehrliche Begegnung zwischen uns verhinderte.
    In dem jahrelangen Bemühen, mich mit Hilfe von Psychotherapie von dem frühen Fluch des Bedieners zu befreien und mich so aus der Übertragungsfalle in meiner Partnerschaft zu lösen, hatte ich die «Blindheit» des Neurotikers zwar weitestgehend überwunden, doch in der Tiefe blieb ich im endlosen Kampf gegen meinen eigenen Schatten, gegen das statische Gleichgewicht im Parallelogramm meiner narzisstischen Kräfte gefangen. Wenn überhaupt, konnte nur eine drastische Veränderung dieses Gleichgewichtes daran etwas ändern. Doch eine befreiende Antwort, wie ich aus dem Bild des Schattenkämpfers heraustreten könnte, hatte ich nicht. Dabei wäre es möglicherweise auch für immer geblieben, denn die weitere Entwicklung lag nicht mehr ausschließlich in der Macht meiner Entscheidung.
    Mit 61 erlitt ich, ohne in irgendeiner Weise risikobelastet zu sein, einen Herzinfarkt, der mich einer Dynamik auslieferte, die nicht ohne Auswirkungen auf meine innere Situation bleiben konnte. Die Diagnose über die Schwere meiner koronaren Gefäßerkrankung traf mich auf dem Operationstisch unvermittelt. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich real vom Tode bedroht war. Daran ließ auch der mich behandelnde Oberarzt bei der Stent-Implantation keinen Zweifel. Die Wucht der realen existentiellen Bedrohung zwang mich in eine nicht gekannte Demutshaltung und erschütterte meine narzisstische Abwehr in ihrem bisher unantastbaren Kern.
    Jetzt erst, da die narzisstische Abwehr in ihrem Kern erschüttert und durchbrochen war, wurde sie für mich in ihrer ganzen Dimension verständlich und durchschaubar. Ich konnte fühlen, dass mich ihre Macht als Zweijährigen vor dem Unfassbaren, dem Unerträglichen des erlittenen Liebesverlustes und der damit verbundenen Todesbedrohung, geschützt und vielleicht sogar vor Schlimmeren bewahrt hatte. Meine Abwehr kompensierte nur mein Unvermögen, diesen Schmerz der frühen Verzweiflung, Panik und Ohnmacht integrieren zu können. Erstmals war ich aus meinem Innern heraus bereit, meine Abwehr, gegen die ich immer wieder im Kampf anrannte, positiv anzunehmen. In den darauffolgenden Tagen und Wochen wurde ich immer wieder von einer tiefen Berührtheit und Ergriffenheit erfasst. Ich musste und konnte weinen, aber nicht nur im Schmerz, sondern auch verbunden mit Gefühlen der Erlösung und Befreiung. Denn paradoxerweise ermöglichte mir das medizinisch wieder geöffnete und reichlich mit Energie versorgte Herz, bewusst zu erleben, wie es sich anfühlt, wenn man sich selbst aus der Fülle des Herzens annehmen kann. Bei dem, was ich fühlte, kam mir unwillkürlich eine Szene aus dem Märchenfilm «Die Schneekönigin» in den Sinn, die mich schon als kleiner Junge immer sehr berührt hatte.
    Gerda macht sich auf die Suche, um ihren Freund Kai zu finden, den die Schneekönigin in ihr Reich ent-(ver-)führt hat, als sie noch Kinder waren. Im Reich der Schneekönigin herrschen eiskalte Macht, Intelligenz und die Dominanz des Wollens. Kai hat sich arrangiert und Gefallen an dem faszinierenden und leblosen Perfektionismus der Eiskristalle gefunden. Als Gerda, die den Fluss des lebendigen Lebens und die Liebe symbolisiert, ihn nach langer mühevoller Suche endlich findet, kennt er sie nicht mehr. Sie aber lässt sich nicht abweisen. Bei ihrer liebevollen Umarmung spürt er einen heftigen
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