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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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Auch wird er nicht von den Wählern vollzogen werden, die ebenfalls aus narzisstischen Abwehrgründen kaum für mühselige Veränderungen votieren dürften. Macht, Status und Versorgungsansprüche, aber auch die ständig aufzubringende Konkurrenz- und Abwehrenergie bieten so viel narzisstische Ersatzgratifikation und Ablenkung, dass ein freiwilliger Verzicht auf die Abwehr kaum denkbar ist, ja nicht einmal ohne Bedenken empfohlen werden könnte, weil dann wieder die narzisstische «Wunde» spürbar und nach erneuter «Behandlung» gerufen würde. Wenn ein narzisstisches Abwehrsystem zusammenbricht, droht immer eine schwere Krise. Anstand und Bildung stehen in einer Notzeit immer auf der Verliererseite. Gehen ordnende Strukturen verloren, drohen chaotische Verhältnisse, in denen die dumpfen und primitiven Kräfte die Oberhand gewinnen können; denn dank ihrer intellektuellen Begrenzung und psychischen Unreife haben sie keine moralischen Skrupel, ihre Überlebensinteressen «brutalstmöglich» zu behaupten.
    Die westlichen Demokratien stehen vor dem Kollaps ihres Finanzsystems – gemessen an den nie mehr zu begleichenden Schuldenbergen hat der Kollaps eigentlich schon stattgefunden. Funktioniert aber die wesentliche narzisstische Regulation über Geld nicht mehr, ist mit wachsenden gewalttätigen Auseinandersetzungen zu rechnen, wie sie in den europäischen Großstädten bereits stattfinden. Wird die zugrunde liegende narzisstische Problematik nicht verstanden und werden keine zivilisierten Formen zu ihrer Regulation gefunden, drohen uns zunehmend blutige Krawalle oder neue Kriege.
    Meine Vision einer demokratischen Revolution spricht die Partei der Nichtwähler und alle Menschen an, die eine grundlegende Veränderung für richtig und notwendig halten, ohne schon sicher zu wissen, wie diese vor sich gehen und wohin sie führen soll. Das einzige Ziel einer solchen Interessengemeinschaft wäre zunächst ein «Wahlerfolg» in dem Sinne, dass die etablierten, aber zum Systemwechsel unfähigen Parteien keine Regierung mehr bilden können. Die «Partei der Veränderung» könnte auf demokratischem Weg eine Machtposition erringen, mit der sie die Voraussetzungen und Regeln für notwendige Veränderungen herstellen und kontrollieren hilft, ohne selbst schon ein entsprechendes inhaltliches Programm haben zu müssen. Ein Programm zur Gesellschaftsentwicklung muss gemeinsam errungen, breit diskutiert und nach allen Seiten hin überprüft, erprobt und in der Praxis dynamisch verändert werden. Experten, Wissenschaftler, Philosophen, Therapeuten und Theologen, Künstler, Handwerker und Arbeiter, Eltern und Lehrer müssen gemeinsam Ergebnisse erarbeiten, die nicht mehr durch Konkurrenz, sondern im Konsens entstehen. Wissen und Positionen sind nach den ihnen zugrunde liegenden subjektiven Motiven zu befragen: Erst das ermöglicht gegenseitiges Verständnis. Im Zentrum steht dann nicht mehr der geschickte, gar betrügerische Kampf um die besten Argumente, sondern die Suche nach einer gemeinsamen Lösung. Pro und Contra haben immer nur teilweise das Recht auf ihrer Seite; nur zusammen kann man sich der Wahrheit nähern. Die Position der Gegner darf nicht verachtet, bekämpft oder verdrängt, sie muss verstanden und integriert werden. Nur so kann Frieden sein.
    Politik darf nicht länger narzissmuspflichtig sein; die Politiker müssen von den für sie unlösbaren Aufgaben entbunden werden. Kein Einzelner kann heute mehr die komplexen, systemischen und globalen Prozesse und Wirkungen von politischen Entscheidungen verstehen und überschauen. Entfällt die Konkurrenz um Macht, muss auch nicht mehr gelogen, betrogen, manipuliert und bestochen werden. Zur Wahrheit gehören immer auch Irrtümer, Fehler, Ratlosigkeit und Ohnmacht; deren Verständnis hat basale Bedeutung und darf deshalb vom politischen Gegner nicht ausgenutzt werden – ansonsten wird es nie zu Einsicht und Verarbeitung kommen.
    Alle Entscheidungen bleiben suchende, dynamisch veränderbare, den Erfahrungen des Handelns unterworfene Ergebnisse. Ziel der politischen Arbeit sind nicht länger Machterhalt und Wählerstimmen, sondern die optimal möglichen Entscheidungen, von denen alle profitieren oder mit denen alle mehr oder weniger einverstanden sein können.
    Der Expertenrat aus allen Schichten und Kompetenzen arbeitet nach gruppendynamischen Gesetzmäßigkeiten; Außenseiter werden integriert und unbewusste Prozesse erschlossen. Ein unabhängiger und in der Sache
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