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Der Tod steht ins Haus

Der Tod steht ins Haus

Titel: Der Tod steht ins Haus
Autoren: Carter Brown
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1
     
    Jedesmal, wenn ich das
nagelneue Schild an der Tür sah, überkamen mich die zwiespältigen Empfindungen
eines Mädchens nach seinem ersten Rendezvous mit einem Seemann — Bedauern über
einen unersetzlichen Verlust und zugleich die prickelnde Erregung eines völlig
neuen Lebensgefühls.
    Bis letzten Freitag hatte dort
noch Rio Investigations gestanden, womit Johnny Rio und ich, Mavis
Seidlitz, gemeint gewesen waren. (Ich bin Blondine und rundherum Naturprodukt.)
Aber dann hatte Johnny plötzlich aus Detroit ein finanziell so interessantes
Angebot bekommen, daß er unsere Partnerschaft aufkündigte, um als Werksdetektiv
in einer Autofabrik zu arbeiten. Vermutlich lassen die Burschen da ab und zu
mal kurz ein Auto in der Hosentasche verschwinden.
    Wie dem auch sei, Johnny war
jedenfalls über alle Berge, und ein Mädchen kann nicht nur von seinen
Erinnerungen leben, selbst wenn diese noch so herzerwärmend sind. Also hatte
ich beschlossen, das Geschäft allein in die Hand zu nehmen, zumal die Büromiete
ohnehin bis zum Monatsende bezahlt war. Das frisch geprägte Schild an der Tür
war mein erster Schritt zur Selbständigkeit.
    Mavis Seidlitz stand darauf zu lesen und
darunter in geschmackvollen, ansprechenden Lettern: Vertrauliche
Ermittlmgen. Heute war allerdings schon Mittwoch, und es hatte sich noch
kein Klient sehen lassen.
    Das Wetter war herrlich klar,
die Sonne lachte auf den Sunset Strip hernieder, so strahlend, daß eigentlich
kein Grund bestand, deprimiert zu sein. Gegen elf Uhr, als ich gerade
überlegte, ob ich hinuntergehen und Kaffee trinken oder mir eine neue Frisur
machen lassen sollte, oder vielleicht sogar beides, da geschah es. Die Tür ging
auf, und dieser Mensch trat ein.
    Er war etwa Mitte Vierzig,
groß, schlank und grauhaarig, mit langem, melancholischem Gesicht und randloser
Brille. Er blickte so trübsinnig drein, als sei er morgens gleich beim ersten
Schritt aus dem Haus in eine Abfalltonne getreten.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er
nervös, »ich versuche, einen Mr. Rio ausfindig zu machen. Ich hätte schwören
können, daß sein Büro in diesem Gebäude ist.«
    »Er ist in Detroit«, erwiderte
ich und fühlte, wie mein Gesicht ebenfalls melancholisch wurde, um sich dem
seinen anzupassen. »Bis letzten Freitag war dies allerdings sein Büro.«
    »Wie dumm!« Der Mensch sah aus,
als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Ich wollte ihn wegen einer sehr
dringenden Angelegenheit sprechen.«
    »Auch ich bedauere seinen
Fortgang«, sagte ich so beiläufig wie möglich. »Es ist immer mißlich, einen
Junior-Partner zu verlieren.«
    »Ihr Junior-Partner?« Er
blinzelte irritiert, was mich jedoch nicht im geringsten beeindruckte. Ein
Mann, der bei meinem Anblick nicht blinzelt, ist sowieso gestorben.
    »Natürlich«, erwiderte ich. »Ich
bin Mavis Seidlitz — bei den Rio Investigations war ich Senior-Partnerin, und
nach Johnnys Ausscheiden führe ich die Geschäfte wieder allein.«
    »Gestatten Sie, daß ich mich
setze?« fragte er matt und ließ sich, ohne meine Antwort abzuwarten, auf den nächststehenden
Stuhl sinken.
    »Vielleicht haben Sie das neue
Schild an der Tür bemerkt?« erkundigte ich mich betont gleichgültig. »Mavis
Seidlitz bin ich, und falls Sie vertrauliche Ermittlungen vornehmen lassen
wollen, bin ich genau die Frau, die Sie brauchen.«
    »Ich brauche einen
Privatdetektiv«, sagte der Mensch. »Darum war ich ja auf der Suche nach Rio.«
    »Ich bin auch Privatdetektiv«,
verkündete ich prompt. »Ich habe Ihnen doch gerade gesagt, daß Johnny hier der
Junior-Partner war.« Am liebsten hätte ich eine Pistole in der
Schreibtischschublade gehabt, um sie herausholen und mit gelangweilter Miene
laden zu können, aber bis auf eine alte Lippenstifthülle war das Schubfach
leer, und das Nachfüllen von »Sinful Pink« hätte sicher keine vergleichbare
Wirkung gezeitigt.
    »Nun...«, begann er etwas
unentschlossen, »vielleicht können auch Sie mir helfen.«
    »Natürlich kann ich Ihnen
helfen«, sagte ich eifrig. »Mr. — äh?«
    »Romayne«, stellte er sich vor.
»Raymond Romayne.« Er setzte sich wieder und blinzelte erneut. »Ich bin
Kunsthändler.«
    »Oh?« sagte ich einigermaßen
kühl, weil ich seine Sorte kannte. »Ich verstehe — dann war das Ganze
also nur ein plumper Trick? Damit ich Ihnen Modell stehe, wie? Mit einem süßen
Lächeln im Gesicht und bestenfalls noch einem Strumpfband am Bein?«
    »Ich bitte Sie!« krächzte er
und blinzelte erregt. »Ich handle
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