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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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dessen Sinn fraglich bleibt. Das ändert indes nichts an der Grundsätzlichkeit der Frage nach der Lebensform, der sich niemand wirklich entziehen kann. «Titanic» meint hier also nicht nur das untergegangene Schiff, sondern ist eine Metapher für Begrenzung und Ende, sei es von Lebensformen, Gesellschaftsstrukturen, Beziehungen oder des individuellen Lebens. Bedenket das Ende, um das Leben nicht in der narzisstischen Illusion zu vergeuden.

[start]
    26 Vision einer demokratischen Revolution
    Die real existierenden westlichen Demokratien haben zwei gefährliche Schwächen:
    Die politische Macht liegt bei Mehrheiten, an deren Informiertheit und politischer Bildung Zweifel angebracht sind. Menschen lassen sich aus psychischen (narzisstischen) Abwehrgründen leicht beeinflussen und manipulieren und werden dann zu Opfern von Meinungsmache, statt nach einem wohlüberlegten politischen Willen zu handeln. Die politische Überzeugung und Entscheidung kann ganz oberflächlich bleiben, ohne dass die ihr zugrunde liegende psychische Motivation geklärt wäre. So wird gerne ein Kandidat gewählt, der etwas verspricht und vor allem dafür sorgt, dass man nicht mit bitteren, beunruhigenden Wahrheiten belastet wird. Auf absurde und peinliche Weise rückt diese Problematik ins Bild, wenn gegen Ende eines Wahlkampfes die aussichtsreichen Kandidaten zum TV -Duell antreten und absolute Äußerlichkeiten über Sieg oder Niederlage entscheiden. Am Ende wählen also viele «aus dem Bauch heraus», nach ihrem «Eindruck». Wie stark dieser Maßstab narzisstischer Verzerrung unterliegt, bedarf an dieser Stelle keiner Erklärung mehr. Mehrheitsentscheidungen sind nur akzeptabel, wenn es parallel dazu eine Pflicht zur politischen Bildung und zur Klärung der subjektiven Motivation gibt.
Eine immer größer werdende Gruppe von Nichtwählern hat keine Plattform für ihre Wahlverweigerung. Die Partei der Nichtwähler verstärkt die Gefahr, dass kleinere, extreme Gruppierungen relativ groß werden, auf diese Weise ganz «demokratisch» in die Parlamente gelangen und sich mit Steuergeldern weiter aufbauen können.
    Dass sich die Nichtwähler vom demokratischen Prozess ausschließen ist auch deswegen bedenklich, weil ihre Motive, die Gründe der Verweigerung und ihre Kritik, so keinen Ausdruck finden und der gesellschaftlichen Diskussion verloren gehen. Ich könnte mir eine gesetzlich gestützte Regel vorstellen, dass eine Wahl mit einer zu geringen Wahlbeteiligung (z.B. unter 80  Prozent) nicht gültig ist. Dann müssten die Gründe geringer Wahlbeteiligung erfasst, diskutiert und verstanden werden, so dass daraus wieder Realpolitik entstehen kann. Das wäre ein völlig anderes Demokratieverständnis und natürlich nicht zu vergleichen mit einer Wahlpflicht, die nur zwingt, aber die Motive des Verhaltens nicht klärt.
    Nichtwähler verweigern sich aus Protest, Resignation, Ohnmachtsgefühlen und sicher auch aus Faulheit, Dummheit und krankhaften Motiven. Auf jeden Fall signalisieren sie gesellschaftliche Fehlentwicklungen und individuelle Probleme. Es gibt viele Gründe, über die Politik verärgert und enttäuscht zu sein, sich bedroht und verängstigt zu fühlen. Es wird nie möglich sein, politisch alle Interessen zu vertreten und alle Bedürfnisse zu erfüllen. Darum geht es aber auch nicht. Vielmehr geht es darum, sowohl das Massenverhalten als auch abweichendes Verhalten von Minderheiten im Hinblick auf ihre Motive und Hintergründe zu erforschen und diese bei den politischen Entscheidungen mit zu berücksichtigen.
    Dass die Mehrheit einer Bevölkerung nicht selbstverständlich eine vernünftige, gesunde, progressive Einstellung vertritt, sondern von hochpathologischen Motiven getragen sein kann, hat nicht nur die deutsche Geschichte wiederholt gezeigt. Wenn unter Gruppendruck alle ähnlich denken und handeln, verbirgt sich das Pathologische unter dem Deckmantel der «Normalität». Das aus narzisstischer Not heraus bestehende Bedürfnis, dazuzugehören, so zu sein, wie alle sind, und sich möglichst gut dem Zeitgeist anzupassen, kurz, das zu machen, was alle machen – um nicht alleine dazustehen und den Selbstwertmangel zu erleiden –, ist eine nicht zu unterschätzende Kraft für unreflektierte Fehlentwicklungen einer Gesellschaft.
    Ich halte es für ausgeschlossen, dass vom führenden politischen Personal, das aus Gründen narzisstischer Kompensation derart schwierige Aufgaben übernommen hat, ein heilsamer Systemwandel ausgeht.
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