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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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eines ausreichenden Selbstwertes, der sich durch Therapie sekundär erarbeiten lässt, der sich aber vor allem primär, durch bestmögliche Bestätigung und Zuwendung in der Frühbetreuung, entwickeln sollte.
    Ich halte diese Punkte für ebenso wahr wie im Grunde unerreichbar für die Masse der Bevölkerung. Für den Einzelnen macht es Sinn, sich mit diesen Zielen ernsthaft auseinanderzusetzen, weil individuelle Entfremdung damit vermindert werden und Würde wachsen kann. Gesellschaftlich wäre schon viel gewonnen, wenn die Bedeutung der frühen Kindheit akzeptiert und die Sozialpolitik die optimale Betreuung von Kindern zur zentralen Aufgabe machen würde. Dazu gehören natürliche Entbindungen, Elternschulen, die Entwicklung guter Mütterlichkeit und Väterlichkeit, ein Orientierungswandel von der Erziehung zur Beziehung sowie kindorientierte Betreuungsformen. Die narzisstischen Störungen entstehen in der frühen Kindheit. Dort liegt der Schlüssel für die gesellschaftliche Entwicklung. Würde das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt rücken und das individuelle Handeln sich danach ausrichten, dann erledigte sich zum Beispiel der Streit «Betreuungsgeld für Eltern vs. Betreuung von Kindern in öffentlichen Einrichtungen» von selbst. Auf dieser Grundlage könnte eine «Beziehungsgesellschaft» wachsen. Sie würde allmählich die Dominanz der narzisstischen Gesellschaft in dem Maße verringern, wie zunehmend mehr Menschen anders leben wollen und dazu auch psychisch in der Lage sind.

[start]
    Epilog: Die Angst zu lieben– Fluch meines Narzissmus
    Ein authentischer Lebensbericht [9]
    Zu keiner Zeit hatte ich den Gedanken oder das Gefühl, mein Leben kritisch hinterfragen zu müssen. Narzissmus im Sinne von Selbstbewunderung, Selbstverliebtheit, übersteigerter Eitelkeit – das war für mich reine Psychotheorie, die mich nicht betraf und mit der ich nichts zu tun hatte. Meine innere Haltung orientierte sich an dem mir vermittelten Werte- und Moralsystem. Von Kindheit an war mir fortlaufend beigebracht worden, was sich gehört und was sich nicht gehört, was man tut und was man nicht tut, was moralisch und was unmoralisch ist. Die daraus abgeleiteten Regeln von Anstand und Disziplin wurden zugleich Quelle meiner Erkenntnisse über Richtig und Falsch, Gut und Böse. So nützlich diese Regeln als Orientierungsrahmen auch waren, sie berührten mich nicht wirklich in meinem Innernen. Denn sie blieben doch nur aus einem vorgegebenen System übernommen und vermochten nicht, den Zugang zur unbewussten Seite meines Erlebens zu öffnen. Auch meine naturwissenschaftlich ausgerichtete Bildung, die doch eigentlich objektives Denken voraussetzte und abverlangte, änderte daran nichts. So blieb mir leider viel zu lange verborgen, dass mein Denken, Fühlen und Handeln sogar in erheblichem Maße narzisstisch besetzt waren und ich in einem von meinen wahren Bedürfnissen und tiefsten Gefühlen entfremdeten (falschen) Leben neurotisch agierte.
    Ich war bereits im 41 . Lebensjahr, als erstmals das Gefühl in mir aufkam, dass etwas Grundsätzliches in meinem Erleben und meiner Wahrnehmung nicht stimmte. Auslöser war der extreme Leidenszustand beim Scheitern meiner zweiten langjährigen Beziehung. Der Zustand war für mich nichts Neues; ich hatte ihn beinahe deckungsgleich schon zehn Jahre zuvor nach der Scheidung meiner Ehe durchlaufen. Ein undefinierbarer, dumpfer und bedrohlicher Schmerz, der alle Lebensenergie auf sich zog, breitete sich in meiner Brust aus, begleitet von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Panik. Beim ersten Mal hatte ich mich nur mit der Betäubung durch Medikamente stabilisieren können. Nun dämmerte mir, dass ich weniger unter den Umständen der Trennung als unter mir selbst litt. Dieses anfangs nur vage Gefühl verstärkte sich und drängte nach einer Antwort auf die Frage, warum ich das Scheitern meiner Liebesbeziehungen als so katastrophal erlebte.
    Ich ahnte damals nicht, dass meine Suche nach einer Antwort zu einem jahrzehntelangen psychotherapeutischen Selbsterfahrungsprozess werden würde. In diesem Prozess, der mich mehrfach an meine Grenzen führte, wurde ich begleitet, geschützt und gehalten. Ohne diesen begleitenden Schutz und Halt wäre das, was ich über meine innere und äußere Realität erfahren und begriffen habe, nicht einmal im Ansatz denkbar gewesen. Am Ende fand ich die Antwort auf meine Frage. Doch sie erwies sich nur als Teilaspekt einer wesentlich tiefer gehenden Erfahrung.
     
    Ich musste
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