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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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Vernichtung!» waren die Botschaften dieser frühen Erfahrung. Sie hat mich offensichtlich sprachlos gemacht, denn wie meine Mutter berichtete, habe ich bis zu meinem dritten Lebensjahr keinen Laut mehr von mir gegeben.
    Die panische Angst vor Ablehnung, Trennung und Verlust manifestierte sich in einer fast symbiotischen Bindung an meine Mutter, die eine Abnabelung von ihr in meiner Entwicklung zum Erwachsenen weitgehend verhinderte. Parallel dazu blieb auch die natürliche Ablösung des normalen kindlichen Narzissmus hin zur erwachsenen Beziehungs- und Liebesfähigkeit blockiert. Meine panische Mutterbindung und mein Narzissmus konvergierten in einer verhängnisvollen Allianz, die mein muttergebundenes Selbst dauerhaft zum Objekt meiner narzisstischen Orientierung werden ließ.
    Das Empfinden und die Einstellung zur Liebe sind seitdem in meinem Herzen von dieser narzisstischen Orientierung sehnsüchtig besetzt. Was immer sich fortan in meinem Denken, Fühlen und Handeln entwickeln wollte und den frühen narzisstischen Fluch in Frage stellte, wurde Opfer der machtvollen Abwehr in meinem Innern. Damit war ich, insbesondere in der Beziehung zu meiner Mutter, zum Bediener verurteilt. Nur einmal habe ich als junger Mann unbewusst spontan gewagt, mich aus dem frühen mütterlichen Auftrag zu lösen, indem ich meiner Mutter öffentlich widersprach. Ihre Reaktion mit dem Satz «Geh mit Gott, aber geh!» löste Panik in mir aus. Ich kroch, von Schuldgefühlen gequält, reumütig zu Kreuze. Einen ausgleichenden Schutz durch meinen Vater, den ich, wie auch meine Brüder, dringend gebraucht hätte, existierte faktisch nicht. Mit seinen verdrängten frühen Bedürfnissen in der Übertragung ebenfalls von meiner Mutter abhängig, blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Söhne zu verraten. Statt lustvoller männlicher Kraft wuchs unter seiner unterdrückenden Macht nur Wut und latente Aggression.
    Lange Zeit stand in der Therapie nur mein Vater im Fokus der Auseinandersetzung mit meinem frühen Erleben. Alles, was sich an Wut- und Hassgefühlen in mir entlud, richtete sich gegen ihn als den vermeintlichen Hauptschuldigen. Erst viel später, als ich genug Vertrauen gefasst hatte, die in mir aufsteigenden Gefühle ohne Hemmung zuzulassen, brach ein herzzerreißender Schmerz unter meiner Wut hindurch, der nicht meinem Vater galt. Es war der Schmerz über den erlittenen Mangel an liebender mütterlicher Zuwendung und Bestätigung. Um diesen Schmerz und die abgewehrte frühe Panik und Verzweiflung nicht fühlen zu müssen, war meine Mutter in ihrer primären Verantwortung geschützt und unangreifbar geblieben. Es war weniger bedrohlich, meinen als autoritär erlebten Vater für den versagten väterlichen Schutz zu verteufeln, als die Nabelschnur durchtrennen zu müssen, die mich mit meiner Mutter verband.
    Die Dimension der Beeinflussung meines Lebens durch meine narzisstische Orientierung war und ist bis heute ungeheuerlich. Im Grunde erfasste sie mein Interagieren in allen meinen Beziehungen von Kindheit an, mit den mehr oder weniger bedeutenden Weichenstellungen, die sich daraus für meinen Werdegang ergeben haben. Auch jene Träume, Wünsche und Leidenschaften standen in ihrem Dienst, die mich meinen wahren Bedürfnissen und Interessen zuwiderhandeln ließen, weil ich ihre Motive nicht erkennen, geschweige denn durchschauen konnte. Meine «Liebesbeziehungen» waren dafür geradezu symptomatisch. Zielsicher entschied ich mich für Frauen, mit denen auch wieder die «Mütter» gefunden waren und um deren Bestätigung ich mich helfend und verstehend bemühen konnte. Als verurteilter Bediener blieb mir dabei nur die Wahl zwischen versagender Anpassung oder aggressiver Dominanz. Die Ausgewählten ließen sich so oder so nur allzu gerne täuschen, denn sie waren selbst viel zu sehnsüchtig, um erkennen zu können, dass ich sie nicht glücklich machen konnte. Die Beziehungen, soweit ich sie verbindlich eingegangen war, mussten scheitern. Sie erstickten in dem verborgenen, unbewussten Geflecht gegenseitiger Übertragung, die sich auf Dauer lähmend auf Anziehung, Beziehungslust und sexuelles Begehren auswirkte. Da ich, wie auch immer, meine frühen Bedürfnisse sehnsüchtig an meinen Partnerinnen festmachte und ausagierte, aktivierten die Trennungen jedes Mal die abgewehrte Bedrohungserfahrung und panische Verlustangst des Zweijährigen. Ich verstand jetzt meine Partnerinnenwahl und auch, warum ich bei jeder Trennung so extrem gelitten
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