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Federschwingen

Federschwingen

Titel: Federschwingen
Autoren: Lena Seidel
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    „Ins Wohnzimmer! Alle! Sofort!“
    Zamael rollte mit den Augen. Musste seine Chefin jedes Mal so brüllen, wenn sie etwas von ihnen wollte? Diese schrille Stimme ging einem durch Mark und Bein. Seufzend rollte er sich aus dem Bett und überlegte dabei, warum Jelial grundsätzlich eine Besprechung einberief, nachdem er eine lange Nacht gehabt hatte. Nicht dass irgendeine Nacht bei ihm kurz gewesen wäre …
    Während er sich anzog, hörte er auf dem Gang leichtfüßige Schritte, gefolgt von schwereren, hektischen. Yashiel und Erael, die dem Ruf ihrer Anführerin schneller folgten als er. Wie immer.
    Brummend schloss er den Reißverschluss seiner Jeans, warf einen Blick in den Spiegel und grinste. Es war zwar absolut überflüssig, sich in die körperbetonten Kleider zu werfen, die er üblicherweise trug, aber man hatte einen Ruf zu verlieren, nicht wahr? Also schob er die Hüftjeans ein Stückchen tiefer, bis sie gerade noch den Ansatz seiner Schamhaare verdeckte, zog das bauchfreie Shirt ein wenig höher und wuschelte seine schwarzen Haare durch, bis die roten Spitzen gut sichtbar waren. Erst als er mit seinem Spiegelbild zufrieden war, verließ er sein Zimmer und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer.
    Jelial begrüßte ihn mit ärgerlichem Stirnrunzeln, sagte jedoch nichts zu seinem verspäteten Erscheinen. Ihr Glück.
    Zamael ließ sich auf die breite Couch fallen, streckte die Beine weit aus und betrachtete seine beiden Kollegen, ehe er gewillt war, seiner Chefin die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.
    Auf einem Stuhl, leicht angespannt, saß Erael, blond, hochgewachsen und schlank. Seines Zeichens Engel der Tugend war er dafür zuständig, Menschen die Chance zu geben, falsche Entscheidungen ungeschehen zu machen. Seine Zeitmagie war wirklich eine eindrucksvolle Sache. Schade, dass meist nur Erael selbst die Effekte seiner Fähigkeit sehen konnte und ihr Einsatz auf einmal pro Tag beschränkt war.
    Neben ihm, in einem bequemen Sessel, hatte Yashiel Platz gefunden. Der Engel der Heilkunst besaß ein stilles, besonnenes Wesen und war ohne Frage der ruhende Pol ihrer kleinen Einheit. Mit zimtbraunen Haaren und Flügeln in der gleichen Farbe und ebenmäßigen Gesichtszügen sah er adrett aus, doch Zamael hatte sich mehrfach die Zähne daran ausgebissen, ihn in sein Bett zu bekommen.
    Zu guter Letzt war da noch Jelial, der Engel der Leidenschaft. Die hübsche, aber kühle Frau mit den k ristallblauen Flügeln war Anführerin per Geburt. Ihre hohe Herkunft w ar der Grund dafür gewesen, dass sie die Engelsdelegation in dieser Stadt leitete. Leidenschaft, wie Jelial sie verkörperte, war ein zweischneidiges Schwert, hatte Zamael feststellen müssen. Leidenschaft war eine gefährliche Sache, sobald sie für die falschen Ziele benutzt wurde. Jelial konnte grausam sein, wenn sie dafür ein größeres Übel verhindern wollte. Sie hatte Säuglinge getötet, um Schreckensherrschaften zu verhindern, oder verheerendes Unglück über ein Volk gebracht, zum Wohle eines größeren Reiches. Dabei hatte sie nie Reue gezeigt.
    Viele Menschen hatten ein sehr verzerrtes Bild von ihrer Rasse. Das Klischee von langen weißen Roben erfüllte bei ihnen bestenfalls Erael, der sich gern in helle Tuniken kleidete und auch sonst mit seinem Erscheinungsbild genau in das Stereotyp des Engels passte.
    Früher mochte das für sie alle gestimmt haben, aber heute … Für die Engel war die Zeit nicht stehen geblieben, sie bedienten sich moderner Technik und lebten unerkannt unter den Menschen, um sie in die richtigen Bahnen zu leiten und zu verhindern, dass Dämonen ihre schmutzigen Pakte mit ihnen schlossen.
    „Ich hatte gestern Nacht eine Unterhaltung mit Leonard.“ Da Jelial nun leiser sprach, klang ihre Stimme klar und weich. Zu weich für Zamaels Empfinden, ihm sträubten sich die Haare ebenso wie die roten Federn an seinen Flügeln. Dieser Ton, er war ihm allzu bekannt. Er bedeutete nie etwas Gutes. Vor allem, wenn sie über Leonard sprach. In diesem Fall war es noch schlimmer: Sie hatte mit ihm gesprochen.
    „Leonard? Seit wann unterhältst du dich mit den Dämonen?“ Yashiel war sogar leiser als Jelial, was seltsamerweise effektvoller war, als hätte er geschrien. Die gesammelte Aufmerksamkeit richtete sich auf ihn. Selbst er starrte ihn an, zumal ihn die Antwort auf die Frage brennend interessierte. Leonard war der Feind, der Anführer der hiesigen Wächterdelegation. Ja, auch die Dämonen lebten unter den Menschen und
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