Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
Vom Netzwerk:
den
Fersen. Jesse weiß das, weil man sich als angehender
Realisations-Ingenieur bis zum Exzeß mit Kryptographie befassen
muß (das Anforderungsprofil eines RI besteht aus der Sicht von los corporados im wesentlichen darin, sämtliche
Aktivitäten sofort durch einen KIRI – einen Künstlich
Intelligenten Reversions-Ingenieur überprüfen – und
als Public Domain-Software manifestieren zu lassen). Bei Gott,
Cybernetik ist weit interessanter und unterhaltsamer als Politik.
    Was würde Naomi wohl zu dieser Geisteshaltung sagen? Es ist
schon schlimm genug, daß er sie nur als Betthäschen
betrachtet, aber wenn er mal nicht an das Eine denkt,
beschäftigt er sich nur mit Technik, nicht mit ihren politischen
Implikationen. Warum ist er nicht in der Lage, seine Gedanken zu
fixieren?
    Naomi tritt weiter zurück, so daß dieser himmlische
Hintern an seinem ausgebeulten Hosenlatz entlangschabt, und zumindest
denkt er jetzt nicht mehr an die Hausarbeit. Für eine Sekunde
stabilisiert sich die Darstellung auf dem Bildschirm, und es hat den
Anschein, daß die sibirische Software den Jägern von UNIC
entwischt – man hört die Patrioten im Saal jubeln, die
Befürworter der Vereinigung Buhrufe ausstoßen, und er
kommt zu dem Schluß, daß die Szenerie sich im Grunde
nicht von einem Fußballspiel unterscheidet…
    Der Bildschirm flackert wieder. Naomi gibt noch immer das
›Ruhe‹-Zeichen. Anstatt sich zu beruhigen, verstärkt
sich das Toben der Menge, und deshalb drückt sie sich an ihn.
Zögernd plaziert er die Hand auf ihrer Hüfte, wobei er
hofft, daß sie den Vorgang als Hilfestellung interpretiert und
ihm nicht wieder vorwirft, »mich immer zu begrapschen«,
aber er wird mit einem kurzen Lächeln unter der Mähne aus
walnußfarbenem Haar belohnt. Ihre großen, feuchten
braunen Augen und die hohen, sommersprossigen Wangenknochen lassen
sein Herz wieder einen Sprung machen; es ist ein Gefühl wie
virtuelle Liebe im XV, und die meisten Argumente, die er sich
für die nächtliche Auseinandersetzung zurechtgelegt hatte,
verlieren ihre Relevanz.
    Er läßt den Arm auf ihrem Rücken ein Stück
nach unten gleiten, und, welch Wunder, sie schmiegt sich hinein und
streichelt sein Gesicht mit diesem wundervollen Haar, und der Hauch
ihres warmen, süßen Atems streicht über seinen Hals.
»Das ist so sinnlos, Jesse. Die Hälfte dieser Leute will
Abdulkashim nicht hören und applaudiert der UNIC, und die andere
Hälfte will Abdulkashim hören und jubelt ihm zu. Wie sollen
sie ein Gefühl für die Bedeutung der Versammlung
entwickeln, wenn sie nicht einmal versuchen, eine Einigung
anzustreben?«
    »Sie sind nicht wegen der Versammlung hergekommen«,
erinnert Jesse sie. »Sie sind wegen der Nachrichten hier oder um
die Detonation der Bomben zu beobachten oder weil sie unterwegs die
Menge gesehen hatten oder aus welchen Gründen auch
immer.«
    Sie schenkt ihm dieses kleine Lächeln, das ihn immer daran
erinnert, wie verklemmt er war, bevor sie in sein Leben trat.
»Aber wichtig ist nur, daß sie hier sind und miteinander
reden. Also ist es doch eine Versammlung – aber niemand strebt
einen Konsens an.«
    Der Geräuschpegel der Stimmen im PolAc-Saal steigt schnell an
und verebbt dann, wobei nur noch ein schwaches Nachhallen in der Luft
liegt; der Sinn der Versammlung besteht anscheinend darin, daß
die Leute sich einfach das anhören wollen, was gerade gesagt
wird. Es scheint, daß die UNIC aufgegeben hat. Die Darstellung
von Abdulkashim ist klar, und die monotone Translator-Stimme kommt
durch: »…absolut unprovoziert und in völliger
Mißachtung der Charta des Zweiten Bundes, derartige Drohungen
gegenüber einem freien, souveränen und unabhängigen
Staat zu äußern, ganz zu schweigen von der
Ankündigung, solche Aktionen gegen militärische
Einrichtungen zu führen, deren Existenz gänzlich unbewiesen
ist…«
    Die Abbildung flackert und verschwindet. Ein Höllenlärm
bricht los. Jesse hört die dumpfen Geräusche von
Schlägen und Tritten.
    Es gibt nicht sehr viele prosibirische Studenten hier an der U des
Az, weil die Sibirer sich mit dem Freistaat Alaska in Fehde befinden
und viele Menschen noch immer nicht verwunden haben, daß das Ak
kein amerikanischer Bundesstaat mehr ist.
    Die große Auseinandersetzung findet zwischen den
Anhängern der Vereinigung statt, die alles unterstützen,
was der SecGen unternimmt, und den Nationalisten, die eine
direkte Intervention der Vereinigten Staaten begrüßt
hätten – die Leute, die sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher