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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
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herumwuseln. Selbst für die U
des Az ist das eine große Versammlung, aber man erlebt
schließlich auch nicht jeden Tag in Echtzeit einen
Bombenangriff der UN-Weltraumbehörde.
    Natürlich könnte er sich, anstatt es im altmodischen
Fernsehen zu verfolgen, ebensogut auch im Wohnheim aufhalten –
Passionet hat einen der Piloten verkabelt –, was sicherlich
praktischer wäre. Sollte er sich vielleicht die Aufzeichnung
ansehen? Nein, Naomi würde das als Kriegsporno bezeichnen.
    Was er wirklich möchte, ist ein trautes Beisammensein mit
Naomi, ohne TV, ohne XV, ohne Kleider – mühsam
verdrängt er diesen Gedanken. Wenn er dies in der nächsten
Stunde auch nur ansatzweise durchblicken läßt, wird es
wieder Ärger mit Naomi geben, und das käme ihm jetzt
wirklich ungelegen. Es ist schon eine Woche her, seit sie mehr getan
hatten, als sich nur zu küssen.
    Andererseits findet die Vorlesung ›Molekulare
Konstruktions-Ökonomie‹, die er in diesem Trimester
mindestens mit einer ›Signifikanten Leistung‹
abschließen muß, wenn er sein Diplom als
Realisations-Ingenieur erwerben will, um acht Uhr statt, und jetzt
ist es fast schon zehn, und obwohl die Hausaufgaben gemacht sind, hat
er sie weder noch einmal durchgesehen noch das Zusatzkapitel
gelesen.
    Noch immer hat Naomi ihren Rücken – winzig und weich
unter der Berührung, aber mit stahlharten Muskeln darunter
– an seine Brust geschmiegt, und somit befindet sich der
schönste, feste runde Hintern im Az gerade einen Viertelzoll von
ihm entfernt.
    Lärm kommt auf, und Jesse schaut hoch, um die Quelle zu
orten. Etwas Großes, eine heftig flimmernde Bewegung auf dem
Monitor. Jeder beschwert sich darüber; heutzutage dürfte es
eigentlich kein derartiges Flimmern mehr geben, jedenfalls nicht bei
den volldigitalisierten Bildschirmen.
    Die Übertragungsqualität ist schlecht, weil die
UN-Informationsbehörde ihr Logo einzublenden versucht, was ihr
allerdings nicht völlig gelingt. Das Publikum stößt
Buhrufe aus und zischt wütend, manche wegen der UN-Insignien,
andere wegen ihres Symbolgehaltes und wieder andere aufgrund ihrer
generellen Einstellung.
    Wie jedes im vergangenen Jahrhundert errichtete Auditorium Maximum
war dieser Ort nicht für Versammlungen konzipiert, dafür
jedoch leicht zu reinigen, mit seinen harten, ebenen Flächen,
und der ganze Raum verfügt über eine hallende Akustik.
    Laß es Mitternacht werden, bis sie nach Hause kommen, und
dann will sie noch eine Stunde reden… soviel zur Hausarbeit,
auch ohne Sex. Und die ›Signifikante Leistung‹ erhält
man auch nicht im Schlaf; gut, sie ist der niedrigste akademische
Grad, aber dazu bedarf es noch immer einer um Lichtjahre
größeren Anstrengung als zum Erwerb des
›Wahrscheinlichen Verstehens‹, der ›Positiven
Einstellung‹ oder des ›Aufgeschlossenen Geistes‹
– und heutzutage lesen die Arbeitgeber die Beurteilungen
wirklich gründlich. Es muß also ›Signifikante
Leistung‹ sein, ›Bewiesene Kompetenz‹ oder
›Meisterschaft‹… und zum jetzigen Zeitpunkt sieht er
sich nicht imstande, eine der beiden höchsten Qualifikationen zu
erwerben.
    Streiche Naomi aus seinem Leben, und ›Meisterschaft‹
wäre in den meisten Fächern in greifbarer Nähe. Es
gibt noch viele unkompliziertere Hintern auf der Welt…
    Er hat keine Ahnung, weshalb es dieser Tage mit der Konzentration
bei ihm hapert. Er zwingt sich, wieder auf den Bildschirm zu sehen,
registriert darauf einen durchgehenden dunklen Balken und erkennt,
daß das, worauf er schaut, Naomis nach unten gerichtete Hand
ist, womit sie ›Ruhe‹ signalisiert, wie es früher in
der Grundschule üblich war.
    Im Raum herrscht ein derartiger Lärm, mit all den Buhrufen,
Pfiffen und lautstarken Erklärungen, wobei manche Leute noch zur
Ruhe mahnen und »Ruhe bitte, Ruhe!« rufen, so daß er
wegen der sich an diesen harten, ebenen Flächen brechenden
Geräusche ohnehin keinen klaren Gedanken fassen kann. Er
würde am liebsten zu einem Höhlenmenschen mutieren, Naomi
aus dem Saal zerren, sie in seinen alten Lectrajeep verfrachten, in
die Wüste hinausfahren und einfach zu den Sternen hinaufschauen,
bis die Sonne hervorkommt.
    Nachdem er stundenlang mit einer absolut willigen Naomi
gevögelt hat.
    Die Abbildung auf dem Bildschirm, sofern er zwischen all den
fuchtelnden Armen überhaupt etwas sehen kann, flackert jetzt
heftig, weil die Signalquelle mehrmals pro Sekunde Modulation und
Frequenz wechselt, mit dem UNIC-Störsender direkt auf
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