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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
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über
›Präsidentin Großmutter‹ beschweren, als ob
Hardshaw dieser Tage noch in ihre eigenen Sofakissen furzen
könnte, ohne zuvor die Genehmigung der UN einzuholen.
    Dann gibt es da noch ein isoliertes Fähnlein Renegaten, die
jegliche Art von Zensur ablehnen, sechs oder sieben Personen, die
tatsächlich prosibirisch eingestellt sind, sowie ein paar
Provokateure, die nur auf Randale aus sind. Als provinzieller
Kleinstädter befürchtet Jesse, es wird hier gleich
rundgehen, und er würde am liebsten sofort mit Naomi die Flucht
ergreifen, bevor es wirklich zu Ausschreitungen kommt.
    Er weiß aber auch nur zu gut, daß sie ihm weder
glauben noch irgendwelche Schritte zur Selbstverteidigung einleiten
würde. Sie ist ein Deeper der zweiten Generation, und
»wir sind nicht so erzogen worden, wir halten uns auch im Zorn
zurück«, hat sie ihm schon des öfteren erklärt.
Er hat es indessen nie über sich gebracht, ihr zu sagen,
daß er nicht so erzogen wurde und durchaus weiß,
wie sich ein Fausthieb oder ein Fußtritt auswirkt.
    Auf einmal schreien alle durcheinander und wollen ihre jeweiligen
Ausführungen zu Ende bringen. Der Lärm bricht sofort ab,
als Rivera, der SecGen, ein stattlicher junger Mann aus der
Dominikanischen Republik, auf dem Bildschirm erscheint.
    Rivera hat den ernsten Ausdruck im Gesicht, den jeder in den
letzten Jahren schon so oft gesehen hat – er kündet von
nichts Gutem, und Rivera erwartet, daß die Leute die Ruhe
bewahren.
    Wie die meisten Deepers ist auch Naomi eine
Internationalistin, weshalb sie dieser Richtung zujubelt, und Jesse
jubelt auch, weil er ihr Begleiter ist. Außerdem versteht
Rivera es, sich den Nimbus der Vertrauenswürdigkeit zu
verleihen, wohingegen Abdulkashim selbst ohne kosmetische
Maßnahmen als zweiter Stalin durchgehen könnte.
    Rivera wartet anscheinend darauf, daß Ruhe in der
Studentenschaft einkehrt, aber Jesse vermutet, daß die Erregung
der Massen sich überall auf der Welt mit der gleichen
Geschwindigkeit legt, so daß der SecGen sich in diesem
Augenblick möglicherweise andernorts an eine Versammlung wendet.
Mit noch höherer Wahrscheinlichkeit wird er jedoch, in
Anbetracht der Tatsache, daß die Hälfte der Menschheit
sich noch immer vor Bildschirmen auf öffentlichen Plätzen
versammeln muß, per Ohrhörer durch einen
Versammlungs-Simulator über die Lage informiert.
    Sobald der Geräuschpegel es zuläßt, hebt Rivera
an: »Meine Freunde, Bewohner unseres Planeten… Schweren
Herzens teile ich Euch mit, daß die Vereinten Nationen heute
abend gezwungen sind, zum achten Mal militärisch zu
intervenieren, um gemäß Artikel Vierzehn des Zweiten
Bundes den Frieden zu bewahren und zu schaffen. Ich werde Euch den
vollen Wortlaut vortragen: ›Keiner Nation, ob sie diesem Bund
beigetreten ist oder nicht, die sich um null Uhr GMT am 1. Juni 2008
weder im Besitz bereits entwickelter oder in der Entwicklung
befindlicher Kampfmittel mit einer Sprengkraft von über einer
Billiarde erg pro Gramm befindet oder diesen Besitz
erklärt hat, wird es erlaubt sein, solche Waffen zu produzieren,
zu besitzen, zu verbreiten oder auf irgendeine Art unmittelbare oder
mittelbare Kontrolle über ihre Zündung auszuüben. Der
Generalsekretär allein ist autorisiert, diesem Artikel Geltung
zu verschaffen‹.
    Nun, da zehn Jahre vergangen sind, seit der Freistaat Alaska sich
friedlich von den Vereinigten Staaten gelöst hat, erhebt
Sibirien einen Anspruch auf Alaska, welcher sich auf angebliche
Unregelmäßigkeiten in den Verträgen zwischen den
Vereinigten Staaten und dem damaligen Russischen Reich gründet.
Diese Behauptungen sind – von vier verschiedenen internationalen
Gremien – als absolut unbegründet decouvriert worden.
    Die gegenwärtige sibirische Regierung hat diesen Forderungen
nicht nur erneut Nachdruck verliehen, sondern sie betreibt auch die
Annexion Alaskas mit verdeckter Gewalt und offenen
Drohungen.«
    Der Bildschirm blinkt einmal, und schemenhafte Konturen, die zu
regelmäßig sind, um natürlichen Ursprungs zu sein,
erscheinen als dunkelblaue Schatten vor einem hellblauen Hintergrund.
Es sind ungefähr ein Dutzend, die allesamt an Bleistifte
erinnern, wobei das spitze Ende wie eine Taschenlampe leuchtet und
das andere Ende rund und knubbelig ist. Rivera erläutert das
Phänomen: »Sechs Formationen wie diese sind auf dem Grund
des Arktischen Ozeans lokalisiert worden. Es handelt sich hierbei um
vom Kurs abgelenkte ballistische Raketen, die von der Firma
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