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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
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MÄRZ -JUNI 2028
     
    Zunächst die gute Nachricht. Hassan Sulari ist ganz
begeistert davon. Wenn das Magnetkatapult des Trägerflugzeugs
sein kleines Raumboot ausstößt und er mit dem Fuß
die Düsen aktiviert, irgendwo über Afghanistan, wird er
aufsteigen und eine suborbitale Flugbahn hoch über dem Pol
einschlagen. Hassan hat bisher nicht die Genehmigung für den
Orbit selbst erhalten, aber er ist auch so schon ziemlich dicht
dran.
    Es ist sein erster richtiger Einsatz. Seine Maschine ist mit vier
KAMS-Bomben bestückt – das steht für
›Komprimierte Antimaterie-Strahlung‹ –, und bei
Presseinterviews sind die Piloten gehalten zu betonen, daß es
sich »eigentlich gar nicht um Kernwaffen handle, sondern
vielmehr um Kampfmittel, die Masse in Energie umwandeln«; aber
im Grunde sind es eben doch miniaturisierte Kernwaffen, und das
gäbe nur eine schlechte Presse.
    Was ihn wirklich stört, ist diese verdammte Sonde im
Hinterkopf. Dafür, daß er sie sich hat implantieren lassen
und nun damit fliegt, ist er von Passionet großzügig honoriert worden; sie wird ihn reich machen
– was bei der UNSOO keineswegs die Regel ist –, aber
dennoch bleibt das nagende Gefühl, sich unangemessen zu
profilieren. Schließlich ist er Pilot und kein
Schauspieler.
    »Wir sind bereit, eine Verbindung zu dir zu schalten«,
ertönt die Stimme von Passionet. »Wenn du noch
irgendwelche verfänglichen Gedanken hast, die niemand
mitbekommen soll, dann denke sie jetzt.«
    »Nichts dergleichen. Orbitalzündung minus vier
Minuten.«
    »Das wissen wir – wir liegen perfekt im Zeitplan. Biete
den Leuten etwas für ihr Geld.«
    In dem Moment, wo sie abschalten und der Countdown beginnt,
beschleicht ihn der seltsame Gedanke, daß solche
UN-Weltraumopern wirklich nicht von menschlichen Besatzungen
durchgeführt werden sollten – das Abfangen einer
indizierten Waffe könnte ebensogut auch von einer Drohne
übernommen werden. Er stellt sich die Frage, warum er das
überhaupt tut – nein, zu seiner Schande, warum er sich
davor fürchtet, es zu tun.
    Diese Betrachtungen verursachen ihm während der letzten
Sekunden des Countdowns schier Magenkrämpfe. Dann hört er
das Wort ›Start‹, und das Katapult des Trägerflugzeugs
schleudert ihn nach vorne über den Bug der großen Maschine
hinweg; beim Blick auf den Fluglageanzeiger sieht er, daß er
gut weggekommen ist, wartet noch einige Sekunden, bis der
Navigationsrechner über erste Daten verfügt, und dann
schiebt er den Triebwerkshebel nach vorn.
    Erneut wird er in den Sitz gepreßt, und die ins Licht des
jungen Frühlingsmorgens getauchten braunweißen Berge
fallen unter ihm in die Tiefe. Die Vibrationen sind heftig, und der
Druck ist hoch; er sieht, wie sich unter ihm die von einer Glocke aus
blauer Luft bedeckte Westsibirische Tiefebene entfaltet. Er befindet
sich nun auf der Höhe der Wettersatelliten. Sein Herz pocht, und
ungeachtet des militärischen Hintergrundes der Mission verlieren
sich seine Gedanken in der Szenerie.
    Als die Düsen aussetzen, sieht er schon das Polareis am
Horizont, und seine Hände leiten automatisch das Ritual der
Aktivierung der Waffensysteme ein.
    Er befindet sich noch immer im Steigflug, verursacht durch die
Massenträgheit der Maschine, und nun kommt die Erde wieder auf
ihn zu. Er ist schwerelos – nicht etwa aufgrund fehlender
Gravitation, sondern weil die Vektoren der gravitationalen Wirkung
und seiner Bewegung gleichgerichtet sind –, und vor seinem
geistigen Auge spulen sich die Kindheitsphantasien bezüglich der
Raumfahrt ab. Er hofft nur, sie verübeln es ihm nicht, daß
sie das jetzt auch auf dem Clip haben, den sie gerade
bespielen…
    Er steht nun über dem Pol, fällt im Sturzflug auf die
fast hundertfünfzig Kilometer unter ihm liegende Eiskappe zu,
und der Countdown beginnt; das Ziel ist aufgefaßt, und er
müßte jetzt nur noch den Schalter betätigen, damit
die Raketen von selbst ins Ziel finden. Dann erhält er die
entsprechende Anweisung und löst aus.
    Vier harte Rucke gehen durch das kleine Raumboot, und er sieht
seine Raketen davonziehen, wie kleine Wunderkerzen, die in eine
dunkle Schlucht geworfen werden. Ihre Detonation hinter dem
Nördlichen Hang wird er zwar nicht mitverfolgen können,
aber der Abschuß war auch schon ein exquisites Vergnügen
gewesen. Und das Implantat im Kopf sagt ihm, daß 750 Millionen
Menschen dem Ereignis beigewohnt haben.
    Die Unterseite des Raumboots wird in ein kirschrotes Glühen
getaucht, und das
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