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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
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zu
begrünen), sondern daß alles davon abhängt, welche
Entscheidungen die Menschen treffen – und die Geschichte geht
weiter. Endlich ist die Zeit gekommen, wo es nur noch eine Welt gibt,
ob die Menschen wollen oder nicht, wo jede Stimme gehört wird
– ja, man muß ab jetzt auf jede Stimme hören. Ob das
alles so kommt oder nicht, hängt indes von der Milliarde
Menschen ab, die hier zusehen, und von all denen, die in den
nächsten Tagen davon erfahren werden.
    Mary Ann weiß jetzt auch, daß sie, sobald die
Vorführung beendet ist, keine Zeugin und Zuhörerin mehr
sein wird – sie wird sich nicht mehr als Medium zur
Verfügung stellen –, und dann wird sie allein sein, denn
das letzte Geschenk Carlas und Louies an sie besteht darin, die
Transmitter in ihrem Kopf für immer abzuschalten. Sie wird
allein sein, wird wieder einer von Milliarden Menschen auf der Erde
sein.
    Nachdenklich verbringt sie die letzten Momente aus der Perspektive
eines Gottes, und sie sieht Jesse, der in der Menge steht und das
alles in sich aufnimmt, es aber nicht in Worte fassen kann; er hat
ein kleines braunes Kind auf die Schultern genommen, weil der Junge
nichts sehen konnte und Hilfsbereitschaft für Jesse so
natürlich ist wie das Atmen; die Familie des Jungen steht um sie
herum – er ist keiner von ihnen und wird es nie sein, aber sie
können zusammen dort stehen. Sie schaut in weitere Fernen und
sieht, wie Berlina Jameson und Brittany Lynn Hardshaw der Welt
über die Schulter schauen, spürt, wie unbedeutend sie ist,
verglichen mit der Reporterin und der Präsidentin… und dann
schaut sie in die Augen von Louie und Carla…
    »Ihr seid Götter«, sagt sie ruhig, was mit
schallendem Gelächter quittiert wird. Wir sind noch nicht
einmal vollwertige Menschen, erklärt Louie.
    Und Carla fügt hinzu Oh, jetzt mach mal halblang. Wir
haben euch die ganze große Erde gezeigt und das jenseits dieser
Erde liegende Universum, und das alles haben wir in eure Hände gelegt. Ihr habt es nicht erhalten, um es uns
zurückzugeben. Wir werden bleiben, um zu helfen und zu sehen,
was ihr tut – wenigstens, solange es uns nicht langweilig wird
– aber wir übernehmen keine Verantwortung für diese
Veranstaltung. Wenn ihr Götter wollt, schafft euch andere
Götter – und sorgt dafür, daß diese Götter
wirklich größer sind als ihr selbst, nicht nur
intelligenter oder stärker.
    Andernfalls, fügt Louie hinzu, könnten wir uns
veranlaßt sehen, ein paar Idole vom Sockel zu stürzen. Wir
sind sehr froh, daß wir einmal Menschen waren und hätten
es nicht missen wollen; wenn ihr Dummköpfe euer Mensch-Sein also
nicht zu schätzen wißt, könnten wir euch dazu zwingen.
    Und damit sind sie aus ihrem Kopf verschwunden, und die Hologramme
verblassen. Mary Ann steht allein auf dem Dach von Gebäude J,
dessen Steine vor Tausenden von Jahren verbaut wurden, und schaut
über die riesige Menschenmenge hinweg. Der letzte Schimmer roten
Sonnenlichts verschwindet gerade hinter der großen Wolkenwand,
die den Ort flankiert, und im Tal unten ist es dunkel – dunkler,
als es in den letzten hundert Jahren jemals war, denn Oaxaca und die
umliegenden Dörfer sind noch immer ohne Strom.
    Die Blicke der unzähligen Menschen scheinen noch immer auf
sie gerichtet zu sein, aber sie ist sich nicht einmal sicher, wie
viele Leute ihre Konturen in der Abenddämmerung überhaupt
noch erkennen.
    Offensichtlich ist sie wieder die alte Mary Ann Waterhouse, obwohl
sie angesichts der Behandlung, die ihrem Körper widerfahren ist,
wahrscheinlich an Rückenschmerzen leiden wird. Ihr Hintern ist
zu malträtiert, um ruhig darauf zu sitzen, und mit Männern
wird sie sich eine Zeitlang nicht einlassen, jedenfalls so lange
nicht, bis sie sich einigen Operationen unterzogen hat.
    Die Menge gerät in Wallung, als ob Tausende von Menschen sich
umgewandt, etwas Unglaubliches gesehen und einen Schreckensschrei
ausgestoßen hätten, und dann ein Brüllen, als alle
sich umwenden. Ein helles Licht dringt durch die Wolken, und Mary
Anns erster Gedanke ist, daß es der Mond sein müsse –
aber es ist viel zu groß für den Mond – dann
verziehen sich die Wolken, und es ist da.
    2026RU, von dem aus Louie Frisbees wirft, steht im
Librationspunkt-Orbit vor dem Mond und leuchtet sieben Mal so hell
wie der Vollmond, denn obwohl der Kern aus Fels und Eis einen
Durchmesser von nur einigen hundert Kilometern hat, reflektiert die
von ihm emittierte dünne Wolke aus Gas und Staub – zu
dünn zum
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