Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
Vom Netzwerk:
wendet, betritt man die
außerhalb der eigentlichen Stadt liegende Grabstätte der
Zapoteken und nähert sich Monte Alban von der Rückseite;
Mary Ann erinnert sich an mehr Details, als sie gedacht hätte,
und muß sich deshalb nicht mit Carla abstimmen, nur
dahingehend, daß sie die Stadt auf dem Hauptweg betreten.
    Das bedeutet eine Wendung nach links und einen weiteren langen,
überraschend steilen Aufstieg, worauf man unvermittelt den
großen Zentralplatz betritt. Mittlerweile überwiegen
bereits die blauen Stellen am Himmel – Louie muß die
Wolken wohl gründlich bombardieren –, was ihnen einen
schönen, frühen Sonnenuntergang beschert.
    Hier gibt es zwei Orte, an denen ein wie auch immer geartetes
großes Ereignis logischerweise stattfinden könnte –
die Südliche Pyramide, die den ganzen Komplex überragt, und
die Nördliche Plattform mit ihrem wunderbaren Blick auf die
ganze Anlage und ihre Umgebung. Wo wird es sein? denkt Mary
Ann.
    Keines von beiden. Nimm das Gebäude J in der Mitte, antwortet Carla sofort. Dort sind auch die holografischen
Darstellungen besser.
    Ihr werdet doch nicht diese schrecklichen Holo-Filme von
Menschenopfern und Priesterorgien und dieses ganze Zeug zeigen? fragt Mary Ann, deren ästhetisches Empfinden dadurch
verletzt würde. Sicher wißt ihr,
daß…
    Wir brauchen nur die Projektoren, um den Effekt hervorzurufen, sagt Carla. Wir sind zwar nicht mehr menschlich, aber so
unmenschlich sind wir nun auch wieder nicht!
    Mary Ann lacht und hört über Carla das gedämpfte
Lachen einer Milliarde Menschen, vergleichbar den Geräuschen
einer Party am Ende eines Hotelkorridors. Natürlich wissen sie
alle, was Mary Ann auch weiß, und sie wollen den Ort mit
eigenen Augen sehen; sie vermutet, daß Monte Alban dadurch
seine Reputation als Kulisse für romantische XV-Sendungen
einbüßen wird. Ein weiterer Zusatznutzen…
    »Ich glaube, wir müssen uns überlegen, was wir tun,
wenn die Menge eintrifft«, sagt Jesse neben ihr. »Es sollen
Hunderttausend sein, und selbst, wenn man zwanzigtausend Menschen in
der Stadt selbst und jeweils zehntausend auf der Südlichen
Pyramide und der Nördlichen Plattform unterbringt, würden
die meisten Leute noch zu weit entfernt stehen. Außerdem wird
es eine langwierige Angelegenheit, die Leute in die Stadt zu
schleusen; es wird fast dunkel sein, bis jeder einen Platz gefunden
hat.«
    Carla spricht durch Mary Ann. »Keine Sorge. Ich habe
fünfhundert Polizisten ausgeliehen und ein Bataillon der
mexikanischen Armee engagiert, um als Platzanweiser zu fungieren
– und sie alle stehen über Ohrhörer in direktem
Kontakt mit mir. Es ist gut organisiert. Geht einfach da rauf, schaut
euch alles an, versucht euch zu entspannen und wartet ab. Louie und
ich werden es euch wissen lassen, wenn wir startklar sind.«
    Damit müssen sie sich bescheiden. Gebäude J ist ein
unförmiger Steinhaufen, nicht wie die anderen vorkolumbianischen
Gebäude – es ist asymmetrisch und von einem Tunnelsystem
durchzogen wie eine Spielzeugburg. Das hier installierte Holo-System
hält seine Spätvorstellung ›nur für
Erwachsene‹ auf diesem Gebäude ab, indem es Blumen auf die
Außenmauer projiziert und dann den europäischen und
japanischen Touristen ein sadistisches Spektakel vorführt, bei
dem junge, mollige Mädchen mit wippenden Brüsten und
Hintern nackt unter den Sternen tanzen und mit großen
Stein-Dildos zum Orgasmus gebracht werden; daraufhin werden ihnen die
Kehlen durchgeschnitten und ihre Leichen, in denen immer noch die
Dildos stecken, in den Brunnen geworfen. Es ist ein völlig
irreales Spektakel, aber wahrscheinlich auch die größte
Einnahmequelle für Monte Alban, und sicherlich preisen die
meisten Fremdenführer diese Darbietung als die Attraktion
schlechthin an, die man auf keinen Fall versäumen
dürfe.
    Jetzt, wo Mary Ann und Jesse die Stufen hinaufsteigen, fragt sie
sich streiflichtartig, welche Rolle sie in einem solchen Video
hätte spielen können: eine Präsentation ihres
Luxuskörpers, wobei ihr vergrößerter Busen auf und ab
wippt, während sie die Stufen hinaufgeht und ihr zu fester und
kleiner Po dabei die Schamlippen freilegt. Diese Vorstellung
verursacht ihr leichtes Unbehagen, denn sie weiß, daß der
Rest der Welt diese Überlegungen mitbekommt (in den alten Zeiten
wären die Leute von Passionet scharf darauf gewesen) und
daß unzähligen Männern die Sicherungen durchbrennen
bei dieser Vorstellung.
    Nun, sie wird nie wieder ein Publikum haben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher