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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme
Autoren: John Barnes
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sie empfangen es durch mich, und die meisten von ihnen werden
das, was sie durch mich empfangen, in sich aufnehmen. Sie werden
vielleicht vom XV aufstehen und über Dinge nachdenken, die ihre
Vorfahren vor fünfzig Jahren gesagt haben, oder der Geruch
irgendeines Gerichts wird ihnen in die Nase steigen, oder sie werden
wieder die ihre Unterstände umgebenden Sandsackwälle
ausbessern, aber ich werde nur zuschauen und weniger in mich
aufnehmen als irgend jemand sonst; ich bin die einzige Person, der
nichts bleibt außer der Erfahrung, als Medium zu
fungieren.
    Ich bin die am wenigsten qualifizierte Person von allen hier
Anwesenden.
    Im Kopf hört sie Carla und Louie amüsiert lachen –
und muß unwillkürlich einstimmen. Plötzlich kommt ihr
der seltsame Gedanke, daß zwei Wesen, für die eine Million
Jahre nur ein Tag ist und die jeden existierenden Witz in jeder
Sprache gehört und über ihn gelacht haben, immer noch von
einer Wahrnehmung überrascht werden und über sie lachen
können. Gut, sagt Carla, vielleicht sollten wir nun
mit der Show beginnen – Louie sagt mir, daß es ihn immer
mehr Mühe kostet, das Loch im Himmel offenzuhalten. Irgendwann
müssen wir einmal anfangen; es werden sowieso noch Leute
dazukommen.
    Mary Ann grinst und sagt laut: »Dann habt ihr also auch im
Theater gearbeitet.«
    Ein zweites Mal wird sie dadurch belohnt, daß sie die
Götter zum Lachen bringt. Kann ich jetzt anfangen? fragt
Carla, und Mary Ann überläßt ihr die Kontrolle. Sie
erhebt sich und geht zum Rand der Plattform; sofort drehen sich viele
tausend Köpfe zu ihr um, und sie hört das leise Surren der
sich positionierenden holografischen Projektoren. Es ist soweit.
    Ohne ihr eigenes Zutun hebt sie an zu sprechen.
    Sie hält keine Ansprache – ihre Worte gleichen eher
einer Eröffnungsrede, und im Hinterkopf fragt Mary Ann sich, ob
Carla und Louie die Menschen vielleicht hypnotisieren wollen. Das
Geräusch der Holo-Projektoren verändert sich unmerklich, und nun beginnen wir mit der Geschichte…
    Das große weiße Auge, das über den Pazifik
kriecht, wird als eine Abfolge von normaloptischen, Radar- und
Infrarot-Bildern sowie Computer-Animationen dargestellt; gleichzeitig
spricht Mary Ann mit Louies Stimme in einer solchen Schnelligkeit,
daß Kehlkopf und Lippen gerade noch mithalten können. Sie
kommentiert die Darstellungen und erklärt, wie das große
Tiefdruckgebiet Wärme aus den überhitzten Ozeanen in die
oberen Schichten der Atmosphäre abführt. Dann erscheint
plötzlich eine hinabstürzende Eisscheibe, einer von den
Frisbees, die Louie zu Millionen abgeworfen hat und an der er –
eine Kamera montiert hat? Simuliert er diesen Vorgang? Sie weiß
es nicht und ist auch nicht imstande, danach zu fragen, aber im
Grunde ist es auch unwichtig.
    Die große weiße Masse über dem Pazifik kommt
immer näher, und dann erscheint ein kurzer Blitz, als der
Frisbee in der oberen Atmosphäre verdampft, streiflichtartig
rast ein fünfzig Kilometer großer Ausschnitt des
sturmgepeitschten Ozeans an den Augen vorbei, bevor die Kamera
wegschwenkt. Das Bild kehrt zurück, und überall sieht man
die langen, geraden, weißen Schemen; und dann eine
Rückblende zum großen Strom der Frisbees… man
spürt den Umfang des Schattens, der von den Eiskristallen
geworfen wird, wie gitterförmig über den Pazifik gespannte
Kondensstreifen von Düsenflugzeugen.
    Die Bilder flackern und verschwinden, und Mary Ann hört in
der Feme ein leises Raunen, das durch die Menge geht. Es hört
sich an wie die Leute, die in ihrer Kindheit auf den Jahrmärkten
von West Virginia die Feuerwerke beobachteten und auf die
wundervollen Farbexplosionen reagierten. Sie fragt sich, ob dort
draußen in der elektronischen Welt jetzt eine Milliarde
›Oohs‹ zu hören sind, und Carla bestätigt ihr
sehr leise, daß es tatsächlich so ist – Du
wärst überrascht, wenn du wüßtest, wie viele
Menschen nie bedacht haben, daß ihre Heimatwelt ein Planet ist;
unsere Umfragen haben ergeben, daß die meisten Menschen
überhaupt nicht wissen, wie dünn die Atmosphäre ist
und daß sämtliches Leben sich in einem Bereich von zehn
Kilometern unter bis zehn Kilometer über dem Meeresspiegel
konzentriert. Und Milliarden Menschen schwirrt der Kopf angesichts
der Erkenntnis, wie klein der Planet doch ist…
    Nun richtet Louie sie wieder auf und erzählt ihnen die ganze
Geschichte, angefangen bei der Methan-Freisetzung. Sie sehen, wie die
Temperaturen steigen, wie der Himmel
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