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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter
Autoren: Dimitri Verhulst
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Kapitel 1
    M artine Withofs war mit wenig zufrieden, was aber nicht ganz ihr eigenes Verdienst war: Sie hatte nie viel gehabt, und irgendwann hat man sich daran gewöhnt. Doch wie dem auch sei, sie konnte sich, um nur ein Beispiel zu nennen, aufrichtig über einen Fernseher freuen. Nicht mehr und nicht weniger – einen Fernseher! Vielleicht lag das am Jahr ihrer Geburt, in dem mit frenetischer Begeisterung das Fernsehen als tatkräftiger Unterstützer, als Kampfgefährte im Kreuzzug gegen die belgische Rückständigkeit und Vulgarität begrüßt worden war, als Mittel zur Verbreitung von Wissen und Kultur bei oberflächlichen Biertrinkern und Hausdrachen. Just in dem Jahr nämlich wurde Martine geboren, in dem die Regierung ihr mit viel Geld angeleiertes Projekt präsentierte, die Bevölkerung muschelessender Bauern endlich zu bilden, zu erbauen und zu läutern. Martine erblickte das Licht der Welt im Herbst 1953, als die – mittlerweile selig verschiedene – »Rundfunk-und Fernsehgesellschaft des Königreichs Belgien« die ersten Fernsehbilder auf die zu erziehende Bevölkerung losließ: die Sendung Panorama mit einem Beitrag über venezianische Malerei. So was prägt einen Menschen. Das hinterlässt Spuren in seinem Charakter.
    Und man muss zugeben, in ihrem bisher neunundzwanzigjährigen Leben war Martine selten glücklich gewesen – doch wenn sie es war, hatte das Fernsehen daran oft einen wichtigen Anteil gehabt.
    Zunächst einmal hatte sie gelernt, sich über die simple Tatsache zu freuen, dass der Fernseher funktionierte. Gar nicht mehr, einfach nur funktionierte. Es erforderte manchmal aber auch wirklich eine Engelsgeduld und ein Paar flinker Beine, um die Flimmerkiste zum Laufen zu bringen. Die Zahl der von Martine zurückgelegten Kilometer, wenn sie mit der Antenne im Wohnzimmer herumlief und nach dem optimalen Empfang suchte, war Legion, und so braucht es denn auch niemanden zu verwundern, dass sowohl die Einführung des Kabelfernsehens als auch der allgemein sich durchsetzende Gebrauch einer Fernbedienung später dazu beitragen sollten, dass Kalorien und Krampfadern für Martine plötzlich ein ernstes Problem wurden. Oder, wie ihr Hausarzt es formulierte, als er ihr schließlich einen Kurs Aerobic verschrieb: »Was sich nicht bewegt, das ist tot!«
    Manchmal lagen die Empfangsprobleme allerdings weder an der Antenne noch am nebligen Wetter, und sie musste dem Ding einfach nur ein paar kräftige Schläge verpassen, um es wieder zum Laufen zu bringen. Keine Gebrauchsanleitung, die diesen Ratschlag enthielt, doch aus Erfahrung wusste ein jeder: Mit Elektrogeräten ging man am besten um wie mit bockigen Kindern. Auch wenn in pädagogischen Kreisen damals ein anderer Wind wehte, der besonders von den bockigen Kindern als erfrischend erfahren wurde.
    Erst dann war Martines Tag ganz gelungen, wenn der volksbildende Fernsehapparat endlich störungsfrei lief und ihre Lieblingsserie Home Is Where My Children Cry auf dem Programm stand. Ein Glück, das nur noch zu toppen war, wenn Charlotte Goldrush, die tyrannische und intrigante Hexe dieses 1438 Fortsetzungen zählenden Fernsehrauschgifts (die Rolle wurde von Jane Wyman – im wahren Leben übrigens die Ex von Präsident Ronald Reagan – mit solcher Leichtigkeit verkörpert, dass man von einem Fall extremen Type-Castings sprechen musste), wenn diese Charlotte Goldrush also eine Niederlage erlitt, vorzugsweise durch ihre eigene, charakterlich ebenfalls nicht ganz unbedenkliche Tochter Emma Goldrush. Wenn dies alles zusammenkam, erlebte Martine einen herrlichen Abend.
    Am Bügelbrett stehend, flankiert von zwei vollen Wäschekörben (denn sie bügelte alles, auch Strümpfe, selbst Unterhosen, und hüllte zuletzt jedes Teil in eine Wolke Stärke aus der heiligen Spraydose der Firma Remy), folgte sie den Fährnissen der verruchten Familie und war glücklich. Nicht, dass sie dann von Kopf bis Fuß in Glück getaucht dastand, wie in den Timotei-Haarshampoo-Reklamen immer gezeigt, die Endorphine strömten eher sparsam durch ihre Adern; vielmehr war es die vorübergehende Abwesenheit von Unglück, die ihr ein Gefühl inneren Friedens verschaffte.
    In den Jahren, die nun endlich hinter ihr lagen, war Martine im Allgemeinen schon bei ihrem zweiten Wäschekorb angelangt, wenn ihr Ehemann sturzbetrunken und immer noch in Arbeitskleidung ins Haus gewankt kam, unbeherrscht brallend: »Guckst du schon wieder diese Scheißsendung im Fernsehen!«
    Obwohl sie mit der nun
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