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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton
Autoren: Lauren Groff
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zickzackförmigen Fall bis zum Boden. Jetzt ist es September, der Sommer ist bald vorbei; er war lang, er war hart, aber bald werden die Gänse da sein. Schon bald Atemwölkchen am Morgen, schon bald lange Ärmel und Tights, Stirnbänder, um unsere empfindlichen Ohren zu schützen. Die Morgendämmerung wird immer dunkler werden und immer später kommen, wir werden blaumachen, um auf das kalte Fußballfeld zu gehen, den Rauch von verbrannten Blättern in den Nasen, Kaffeebecher in der Hand, und diese jungen Burschen anfeuern, die unsere Söhne sein könnten, es aber nicht sind, und wir werden einfach dort stehen, weil es Spaß macht, um des Spiels willen. Wir werden ihre jungen Beine laufen sehen und sie anfeuern. Heute wird am Country Club die Bootsanlegestelle abmontiert. Die Touristen sind deutlich weniger geworden nach dem Einweihungswochenende im Baseball Museum, die Opernsänger haben sich in ihre unspektakulären Viertürer verfrachtet und sind nach Manhattan oder Topeka nach Hause gefahren. Die
Häuptling Unkas,
das Touristenboot auf dem See, wird morgen zur Überwinterung in eineBootswerft in Hartwick gebracht. Wir werden uns anpassen, werden zurückschrauben, unsere Läufe auf weniger als vier Meilen drosseln. Und dann warten wir auf den Winter.
    Big Tom hat seine Tochter wieder, die in seinem Lager am Westufer des Sees einen Entzug macht. Sie will nicht sagen, wo sie war, aber sie ist zurück. Little Thom hat eine Bypassoperation gehabt, und alles sieht gut aus; in ein paar Monaten wird er wieder mit uns laufen. Wir wollen uns T-Shirts drucken lassen, auf denen steht: ACHTUNG: UNSERE PUMPEN SIND ZEITBOMBEN. Jetzt treffen wir uns mit ihm im Cartwright Café, wo er seinen entkoffeinierten Kaffee trinkt und mit Frankie Witze macht. Frankie geht es wieder besser, er hat zugenommen und im Urlaub die Asche seiner Eltern im Meer verstreut. Doug ist von seiner kleinen Geliebten wegen eines eins neunzig großen Ex-Baseball-Catchers in die Wüste geschickt worden, von dem es heißt, sein Name werde bald ins Museum aufgenommen. Seine Frau hat ihm verziehen. Die Steuerbehörde nicht, aber er muss nur kurz in den Knast, und für uns ist das Thema dann erledigt. Johanns Tochter hat ihre Freundin mit nach Hause gebracht, und sie ist lustig und so maskulin, dass sie aussieht wie ein Mann. Außerdem kann sie dermaßen gut mit Elektrowerkzeug umgehen, dass sie planen, bei ihrem nächsten Besuch im Gästezimmer eine Holzvertäfelung hochzuziehen.
    Und Sol, Sol ist der große Gewinner, Sol, der Kinderlose und dreifach Geschiedene, der auf einmal eine Tochter hat, und was für eine: Willie Upton, Doktorandin in Amherst und Stanford, ein kluges Köpfchen und hübsch noch dazu, ein Mädchen, das sogar bei uns allen gebabysittet hatte, als unsere eigenen Kinder noch klein waren. Die ganze Zeit hatten wir gemeint, all die Affären, die alten Kränkungen und Wunden zu kennen, aber wer hätte gedacht, dass Sol so eine große Sache wie die Affäre mit der alten Hippiefrau Vivienne Upton verbergen könne? Natürlich wusste er nichts von seiner Tochter. Aber diese Willie hat ihm den Glauben an sein bestes Stück zurückgegeben, an seine Virilität, seine Männlichkeit. Kein gemahlener Tigerpenis mehr,keine Tränke aus sonderbaren schwarzen Kräutern mehr, die in Aristabulus Mudges Apotheke unter der Ladentheke verkauft werden. Dass Sol in der Lage gewesen ist, ein Kind wie Willie zu zeugen, das mache drei gescheiterte Ehen wett, sagte er gestern und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    Wir haben alle gejohlt, sind alle ein bisschen schneller gelaufen. Und dann hat Big Tom gestern etwas erzählt, was uns alle für gut zwei Meilen wieder zum Schweigen gebracht hat. Wir liefen still und ehrfürchtig vor uns hin. Spuckten nicht mal. Furzten nicht mal. Die Freude war einfach riesengroß, so groß wie das Templeton, das wir auf unserem Lauf umkreisten, in all den Schleifen, die wir drehten – die Stadt, die vor uns lag.
    Noch heute, bei unserem heutigen Lauf, sind wir froh und sehen es vor uns, als würde es gerade eben erst passieren: Big Toms Junkietochter, wie sie um drei Uhr in der Frühe ganz allein im See schwimmt, schlaflos durch ihren Entzug, und sie schwört, dass sie einmal in dem dunklen Wasser untergetaucht ist. Und als sie die Augen geöffnet hat, schaut sie in das etwa menschengroße Gesicht eines kleinen weißen Seeungeheuers, das sie neugierig anschaut und mit seinem Fischschwanz wackelt. Sie sagt, es sehe unserem
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