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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton
Autoren: Lauren Groff
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strich mein dunkles Kleid zurecht. Ich hielt ihm die Hand hin, und er schaute sie an und grinste.
    «Ah», sagte er und schüttelte sie. Wir hatten die gleichen Hände, wie ich bemerkte, mit langen Nagelbetten, langen Fingern und einem Daumen, der sich mehr zur Seite verdrehte als üblich. «Du brichst einem alten Mann das Herz, Willie. Mir war nicht bewusst, dass das hier geschäftlich ist.» Er faltete seinen großen Körper in den Stuhl und lächelte mich an.
    «Geschäftlich?», fragte ich. «Kommt darauf an, was du unter geschäftlich verstehst.»
    Mittlerweile hatte sich die Kellnerin vor uns aufgebaut, tippte mit dem Radiergummiende ihres Bleistiftes auf ihren Bestellblock und seufzte. Auf der Highschool war sie ein paar Klassen unter mir gewesen und hatte sich aus jener Zeit die großen, grellen Bögen grünen Lidschattens über ihren Augen sowie die gewaltigen goldenen Kreolen bewahrt, die von ihren Ohren bis zu den Schultern baumelten. Sie tat so, als wüsste sie nicht, wer ich war. «Ein Abner-Sandwich, bitte», sagte ich, ohne sie anzuschauen. «Mit einem Salat dazu, Balsamicodressing extra. Dazu Eistee mit viel Zitrone.»
    Sol blinzelte und zog die Stirn ein wenig in Falten. «Ich nehme genau das Gleiche», sagte er zu der Kellnerin und reichte ihr die Speisekarten, in die wir nicht einmal einen Blick geworfen hatten. «Genau das bestelle ich mir auch immer», sagte er.
    «Das ergibt durchaus einen Sinn», sagte ich.
    «Was ergibt einen Sinn?», fragte er.
    «Du wirst schon sehen», erwiderte ich.
    Er faltete seine Serviette auf und breitete sie sich über den Schoß. Dann beugte er sich über den Tisch. «Also gut», sagte er. «Die Spannung steigt ins Unerträgliche. Könntest du das Rätsel bitte lüften, Willie?», bat er. «Geht es um den Collegekredit? Wenn es das ist, darum musst du dir keine Sorgen machen.»
    Ich schaute mich in dem Lokal um, um mich zu vergewissern, dass niemand mithörte, aber es war eine Stunde vor der Mittagspause, und die einzigen Gäste saßen an einem langen Tisch: eine Baseballfamilie, allesamt in Met-Trikos, bis auf einen kleinen Bilderstürmer, der trotzig ein Nadelstreifentrikot der Yankees trug. Ich fing einen Blick von ihm auf und zwinkerte ihm zu. Er zwinkerte zurück, und ein Stück Hamburger fiel ihm aus dem Mund.
    «Na gut», sagte ich zu Sol Falconer. «Es gibt da eine Geschichte, die ich dir gerne erzählen möchte.»
    «Schieß los», sagte er.
    «Es war einmal», begann ich, «ein junges Mädchen, das in seine Heimatstadtzurückkehrte. Es war Waise geworden und ganz allein auf der Welt. Eines Tages kam ein gut aussehender Prinz bei ihr vorbei, sie begannen ein bisschen Wein zu trinken, eins führte zum anderen, und es endete da, wo solche Geschichten meistens enden, wenn die Beteiligten jung und betrunken genug sind. Ohne dass der Prinz davon wusste, kam ein Kind zur Welt. Dieses Kind nun, das mittlerweile erwachsen ist, beschloss eines Tages, sich auf die Suche nach seinem ahnungslosen Vater zu begeben.» Ich wartete gespannt und schaute Sol an, doch ich bin beim Geschichtenerzählen immer schon vom Hölzchen aufs Stöckchen gekommen, und meine Story schien ihn nur zu verwirren.
    Er blinzelte. «Wie bitte?», fragte er. «Prinz? Kind? Wo?», und er drehte den Kopf und sah, wie sich die Kellnerin über die Baseballfamilie beugte. «Die Kellnerin?», fragte er und schaute wieder zu mir. «Ist sie eine geheime Erbin oder so was? Das ist eine sehr seltsame Geschichte. Warum erzählst du mir das alles, Willie?»
    «Nein, Quark», sagte ich. «Sol. Papa.»
    Seine Augen wurden riesengroß, und er schien mein Gesicht regelrecht in sich aufzusaugen. Die Wangen, die ihm irgendwie bekannt vorkommen mussten, die Größe, die Augenfarbe, das Lächeln. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und gab ein zittriges Seufzen von sich. «Willie? Ich …», stotterte er, «Ich versteh das einfach nicht.»
    «Sag, was du meinst.»
    «Ich
kann
keine Kinder kriegen», sagte er. «Drei Ehen sind bei mir in die Brüche gegangen, weil ich keine Kinder zeugen konnte. Es ist einfach nicht möglich.»
    «Offenbar ist es das doch», sagte ich. «Ich bin der lebende Beweis dafür. Zwick mich mal.» Es war nur ein Witz, aber er tat es, und ich hatte noch eine Woche danach einen doppelten blauen Fleck an meinem Arm.
    «Aber», sagte er, «niemand hat es mir gesagt. Niemand hat mir irgendwas gesagt. Ich hab dir bei all den Fußballspielen und Leichtathletikfesten auf der Highschool
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