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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton
Autoren: Lauren Groff
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Vorbemerkung der Autorin
    Ein fiktives Werk, das von Interesse ist… so paradox diese
Behauptung auch erscheinen mag… spricht unsere
Wahrheitsliebe an – nicht die reine Liebe zu den Tatsachen,
die sich in verbrieften Namen und Daten ausdrückt,
sondern die Liebe zu einer höheren Wahrheit, der Wahrheit
der Natur und der Prinzipien, die eines der grundlegenden
Gesetze menschlichen Denkens ist.
James Fenimore Cooper, aus:
Frühe kritische Schriften, 1820–1822
     
    Es gab da einen Winter, als ich bereits erwachsen war und sehr weit weg von zu Hause, in dem ich jede Nacht wehen Herzens aufwachte, nach quälenden Träumen von meinem stillen kleinen See. Ich vermisste meine Heimatstadt, so wie man einen Menschen vermisst. Die Idee zu diesem Buch wurde in jenem langen, dunklen Winter geboren; ich beschloss, eine Liebeserklärung an Cooperstown zu schreiben.
    Zunächst machte ich fleißig meine Hausaufgaben, las viele Bücher über die Geschichte des Ortes und so viel von James Fenimore Cooper, wie ich vertragen konnte, denn über Cooperstown kann man nicht schreiben, ohne über Fenimore Cooper zu schreiben. Doch dann geschah etwas Merkwürdiges: Je mehr ich in Erfahrung brachte,desto mehr lösten sich die Fakten aus ihren Verankerungen. Langsam entstanden aus ihnen neue Geschichten in meinem Kopf und entwickelten ein Eigenleben. Daten wurden vertauscht, Kinder wurden geboren, die es nie wirklich gegeben hat, historische Gestalten verwandelten sich in ganz neue Persönlichkeiten und fingen an, beängstigende Dinge zu tun. Allmählich wurde mir klar, dass ich längst nicht mehr über Cooperstown schrieb, sondern über eine etwas schräge, andere Version des ursprünglichen Ortes.
    Ich geriet in Panik; zum Glück jedoch eilte James Fenimore Cooper zu meiner Rettung herbei. In seinem Roman
Die Ansiedler
schrieb er nämlich ebenfalls über Cooperstown, und weil es auch bei ihm mit den Tatsachen etwas aus dem Ruder lief, beschloss er, dem Ort einen anderen Namen zu geben, und taufte ihn Templeton, New York. Ich entspannte mich und folgte seinem Beispiel.
    Etwa zur gleichen Zeit klopften seine Figuren an meine Tür und begehrten Einlass. Herein spazierten Marmaduke Temple und Natty Bumppo. Auch Chingachcook und Häuptling Unkas und Cora Munro. Sogar Remarkable Pettibones ließ sich blicken, obwohl sie während der inzwischen vergangenen Jahrhunderte ihren Namen durch das lustigere Prettybones ersetzt hatte. Die Ankunft all dieser Personen ergab durchaus einen Sinn; ich war mit den Figuren aufgewachsen, fast so, als wären es lebendige Menschen, und sie waren unabdingbarer Bestandteil der Legende meiner Heimatstadt, wie sie in meinem Kopf existierte. Mit meinem Templeton waren sie fest verbunden.
    Letztendlich besteht die Kunst des Geschichtenerzählens darin, zu lügen und dabei die Wahrheit zu sagen. Am Schluss wurde es ein ganz anderes Buch über meine Heimatstadt als das, mit dem ich begonnen hatte. Es ist ein Buch, das die Geschichte als formbar betrachtet und es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine andere Art von Wahrheit über meine kleine Stadt am See herauszufinden, ein Buch, erfüllt von dem ganzen Zauber und den Geheimnissen, die mich während meiner Kindheit umgaben. Menschen wie uns, die wir in dieser Stadt geborensind, kommen Legenden wie Abner Doubleday, das Ungeheuer aus dem See, Lederstrumpf und all die anderen Wesen, die uns im Schlaf heimsuchen, wie ein Teil unserer eigenen Lebensgeschichte vor. Mein Cooperstown verhält sich zu Templeton wie der Baum zu dem Schatten, den er wirft; ein Umriss, der die Beschaffenheit des Bodens annimmt, auf dem er sich abzeichnet.
    Natürlich ist der allergrößte Teil der Figuren dieses Buches frei erfunden, und irgendwelche Ähnlichkeiten mit wirklich lebenden Bewohnern von Cooperstown sind rein zufällig, sofern es nicht ein explizites Vorbild für die Figur gibt, das ich dann auch benenne. Reale Personen aus der Geschichte sind so verändert worden, dass sie nicht mehr zu erkennen sind. Ich hoffe nur, Letzteres gilt nicht für die Stadt selbst, einen Ort, den ich von ganzem Herzen liebe.

Heimkehr
    An dem Tag, als ich, knietief in der Schande, nach Templeton zurückkehrte, tauchte im Flimmerspiegelsee der über fünfzehn Meter lange Kadaver eines Ungeheuers auf. Es war eine dieser seltsamen Morgendämmerungen, die den Juli dort in Purpurrot tauchen, wenn der Kessel, den die Hügel bilden, sich mit einem dichten Nebel füllt und selbst die Singvögel nur noch ein
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