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Das Nest des Teufels (German Edition)

Das Nest des Teufels (German Edition)

Titel: Das Nest des Teufels (German Edition)
Autoren: Leena Lehtolainen
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    Die Bar hieß Le Lynx. Der schwarz-weiße Luchs im Firmenzeichen war extrem stilisiert und erinnerte eher an einen Löwen. Julia Gerbolt musterte die Drinkkarte und bestellte einen Mojito. Ich begnügte mich mit Mineralwasser, bat aber gleich um eine große Flasche. Meine Beine zitterten nach den Abfahrtsläufen vor Anstrengung, und Durst machte mich anfällig für Kopfschmerzen.
    Ich fragte mich, warum Julia unter den vielen Skiorten in den Alpen ausgerechnet Leysin gewählt hatte und nicht eins der vom Jetset bevölkerten Dörfer. An der Landschaft war allerdings nichts auszusetzen: Als wir zur Bar spazierten, ging gerade die Sonne unter, und die rosa gefärbten Berggipfel glichen der Illustration in einem Märchenbuch.
    Es war meine erste Reise mit Julia. Vor etwa drei Wochen, Anfang Februar, war ich in den Dienst der aus Russland stammenden Frau getreten. Sie war die Verlobte des finnischen Geschäftsmannes Usko Syrjänen, dessen Assistent Juri Trankow mir den Tipp gegeben hatte, Syrjänen suche eine Leibwächterin für sie. Als Mädchen für alles im Restaurant Sans Nom wollte ich nicht länger arbeiten, denn es kam mir vor, als wäre dadurch meine Ausbildung an der Sicherheitsakademie Queens in New York umsonst gewesen. Für die verwöhnte, hochnäsige Julia, deren wichtigster Lebensinhalt darin bestand, gut auszusehen und Geld zu verplempern, hatte ich zwar nicht viel übrig, aber ich verdiente mehr als je zuvor, und bisher war die Arbeit nicht gerade anstrengend gewesen.
    Syrjänen war der Ansicht, dass Julia eine Leibwächterin brauchte. Die Öffentlichkeit interessierte sich für die Braut des Multimillionärs, die zu allem Überfluss selbst gut betucht war. Alexej Gerbolt, Julias erster Mann, war zweiunddreißig Jahre älter gewesen als seine Frau. Zwei Jahre nach der Hochzeit hatte ihn ein Herzinfarkt dahingerafft. Julia hatte den maximalen Anteil an seinem Vermögen geerbt, den das russische Gesetz zuließ. Gerbolts Verwandte waren darüber empört und sannen möglicherweise auf Rache. Ich hatte Julia gefragt, wer ihrer Meinung nach als Rächer in Betracht kam, doch sie hatte nur die Schultern gezuckt.
    «Woher soll ich das wissen! Gefahren zu erkennen ist doch deine Aufgabe.»
    Es war Usko Syrjänens Idee gewesen, mich zu engagieren, er wollte mich unbedingt als Angestellte, und Juri Trankow hatte ihn darin bestärkt. Auch zwischen Julia und Syrjänen lag ein beträchtlicher Altersunterschied, sechsundzwanzig Jahre, was beide jedoch nicht störte, weil Julia für junge Spunde nichts übrig hatte. Syrjänens Exfrau Satu war ausgerastet, als sie in der Zeitung las, dass ihr Mann sich wieder verlobt hatte, obwohl die Scheidung noch nicht rechtskräftig war. Sie hatte Julia mehrmals angerufen und als Flittchen beschimpft, doch ich glaubte nicht, dass Julia nur deshalb einen Bodyguard brauchte. Vielleicht fühlte sie sich wichtig, wenn sie ständig von einer Leibwächterin begleitet wurde. Wahrscheinlich betrachtete sie mich als Accessoire, wie Schuhe oder eine Handtasche. Jedenfalls hatte sie mir Anweisungen gegeben, wie ich mich zu kleiden hatte: Jeans, Blazer und Springerstiefel wirkten am glaubwürdigsten, meinte sie. Viele meiner männlichen Kollegen trugen maßgeschneiderte Anzüge mit speziellen Taschen für Waffen, Abhörgeräte und ähnliches Zubehör. Auch ein Schlips war praktisch, weil man in der Krawattennadel eine Videokamera verstecken konnte. Zum Zeitvertreib hatte ich begonnen, eine Halskette mit derselben Funktion zu entwerfen. Zwar trug ich nur dann Schmuck, wenn ich femininer wirken wollte, als ich war, doch die Vorstellung, ein Schmuckstück mit Spionagefunktion zu besitzen, reizte mich. Meine verbesserte Gehaltslage ermöglichte es mir schließlich, mein Berufswerkzeug zu modernisieren und einiges neu anzuschaffen. Ich liebäugelte schon seit langem mit einem Infrarotfernglas und effektiveren Ortungsgeräten.
    Julia nippte nur an ihrem Mojito. Aus Angst vor Kalorien trank sie nur selten Alkohol, aber beim Skilaufen hatte sie reichlich Energie verbraucht. Sie war mir im Abfahrtslauf überlegen, was mich ziemlich fuchste. In der Schulzeit hatte ich zwar ein paarmal am Berg Maarianvaara Abfahren geübt, aber Onkel Jari, der mich großgezogen hatte, war ein eingefleischter Skilangläufer gewesen, und eine teure Slalomausrüstung hätten wir uns ohnehin nicht leisten können. Auf dem zugefrorenen See Rikkavesi konnte man umsonst Ski laufen. Erst als Erwachsene, nachdem ich aus New York
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