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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton
Autoren: Lauren Groff
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zugejubelt und hab es nicht mal gewusst.»
    Wilhelmina Sunshine Upton
Als Kleinkind. Und bei ihrer Abschlussfeier am College, kurz und krass erblondet, aus Gründen, die sie immer noch nicht recht versteht. An dem Tag nach der Feier wird sie aufwachen und beim Blick in den Badezimmerspiegel dermaßen erschrecken, dass sie ihr Haar ebenso prompt wie für immer zu seiner ursprünglichen Farbe zurücktönen wird.
    «Ich hab’s auch nicht gewusst», sagte ich. «Nicht bis gestern Abend. Meine Mutter hat es mir gestern Abend gesagt.»
    «Aber ich hab nie was mit deiner Mutter gehabt. Ich schwör’s.»
    «Hm», sagte ich. «Na ja, wenn das stimmen würde, dann wäre das alles ein Wunder. Aber bedauerlicherweise ist es das nicht.»
    «Aber ich hab wirklich nichts mit ihr gehabt», sagte er.
    «Doch, hast du», sagte ich. «Denk mal zurück. Erinnere dich an einen schönen Tag im Vorfrühling mit Knospen an den Bäumen. Tomatensalat. Wein.»
    Ich sah dabei zu, wie sein Gesicht (mein Gesicht) ganz rot wurde, während seine schmale Nase (meine Nase) die Witterung von etwas ganz Tiefem, Beunruhigendem aufnahm. Er fing an zu blinzeln und lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück.
    «Moment mal», sagte er. «Jetzt kommt’s mir langsam.»
    «Ich hab alle Zeit der Welt, Dad», sagte ich und lächelte ihn so breit an, dass ich das Gefühl hatte, mein Gesicht würde gleich aus allen Nähten platzen.
    Solomon Falconer rieb sich mit den Händen übers Gesicht und verzog ein wenig die Lippen. «O mein Gott, das stimmt ja. Aber das alles ist, entschuldige, wenn ich das sage, so abgefahren. Ich weiß nicht einmal mehr, was in jener Nacht mit Vivienne vorgefallen ist. Deiner Mutter. Ich bin dort in dem Haus aufgewacht, halb nackt und mit einem Mordskater. Ich geriet in Panik. Wenn meine Verlobte das herausfand, würde sie mich umbringen, dachte ich, und dann bin ich abgehauen und deiner Mutter einfach lange, lange Zeit aus dem Weg gegangen. Hab’s einfach verdrängt. Ich wusste nicht mal, was passiert war. Heiliger Strohsack.»
    «Heiliger Strohsack», pflichtete ich ihm bei. «Absolut.»
    Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände auf dem Kopf. Seine Haare waren schütter und grau geworden, seit ich aufder Highschool gewesen war; damals hatte er sie in wild zerzausten, ingwerfarbenen Locken getragen. Jetzt ließ er sie sich kurz schneiden. Es sah gut aus.
    Als er mich wieder anschaute, schien es ihm Schwierigkeiten zu bereiten, die Tränen zurückzuhalten. «Verzeih mir, wenn ich dich frage», sagte er. «Aber ich bin … Ich hab eine Menge … na ja, ich hab Geld, und wenn es damit zu tun hat …»
    Wie zur Antwort stand ich auf und wollte schon empört davonrauschen, als er nach meiner Hand griff. «Halt», sagte er. «Ich glaube dir. Ich kann es einfach nur nicht fassen.»
    «Ich weiß», sagte ich.
    «Es ist einfach nur», sagte er mit einem knallrot angelaufenen Gesicht, «ein Wunder. Ein Wunder. Willie Upton. Ich hab eine Tochter.»
    «Und das bin ich», sagte ich. Ich drückte seine Hand.
    «Und das bist du», sagte er und schüttelte den Kopf. «Was Besseres hätte ich mir nicht wünschen können.»
    Die unsichtbare Kellnerin stellte leise unsere Teller ab, aber keiner von uns aß etwas. Wir saßen da, während sich das Restaurant langsam füllte, sowohl mit Baseballfamilien als auch mit Templetonianern.
    Doch die Leute, die wir kannten, machten einen großen Bogen um unseren Tisch, vielleicht weil sie etwas spürten, und wir sahen, wie sie an ihren eigenen Tischen die Köpfe zusammensteckten und sich fragten, was da bei uns wohl vorging.
    Eine vierte Ehefrau, dachten wohl einige von ihnen. Ich passte offenbar in sein Beuteschema.
    Schließlich stieß Sol Falconer einen tiefen Seufzer aus. «Eine schönere Überraschung hätte ich mir nicht wünschen können», sagte er, schüttelte den Kopf und strahlte mich an. «Könnte nicht stolzer sein auf eine Tochter, die vom Himmel fällt, Willie Upton. Ich bin bloß», sagte er, «na ja, gelinde gesagt, gerührt.»
    Selbst damals wusste ich, was ich mir bis dahin nicht eingestanden hatte: dass es jetzt, wo ich auf noch mehr Vorfahren, auf mehr Geschichte zurückblicken konnte, einen deutlichen Einfluss auf meine Zukunft haben würde. Denn noch bevor ein kleiner Humanoide die Wanderschaft über die Beringstraße angetreten hatte, gestorben war und einen klitzekleinen Überrest seiner Existenz in der Tundra hinterlassen hatte, die irgendwann in einer
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