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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton
Autoren: Lauren Groff
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unvorstellbaren Zukunft wieder ausgebuddelt wurde, hatte es wahrscheinlich eine ganze Reihe von anderen Humanoiden vor ihm gegeben, die ebenfalls über jene uralten Felsen geschritten waren. Und obwohl ich nun einen Vater hatte, brachte er eine solche Fülle von eigenen Vorfahren mit sich, dass es unmöglich gewesen wäre, sie alle auszugraben und zu begreifen, und sie würden der DNA der Kinder, die ich möglicherweise einmal haben würde, ihren Stempel aufdrücken. Es war zu viel. Es war unmöglich, das alles zu begreifen.
    Und doch hängen wir an diesen Dingen. Wir wollen in der Lage sein zu begreifen. Wir brauchen die Vorstellung von jenem ersten Humanoiden in Nordamerika, obwohl wir ihn nie finden werden; wir brauchen einfach jede Menge Vorfahren als Last auf unserem Rücken. Manchmal haben wir das Gefühl, es sei unmöglich, den Weg in die Zukunft anzutreten ohne eine solche Bürde hinter uns, ohne dieses Gewicht, das auf uns lastet und uns beständig macht, selbst wenn es nur ein eingebildetes Gewicht ist. Und je beängstigender die Zukunft ist, je komplizierter sie uns erscheint, umso mehr suchen wir Beständigkeit in der Beschäftigung mit der Vergangenheit. Ich schaute meinen Vater, Sol Falconer, an, und empfand eine unglaubliche Erleichterung. Eigentlich war es gar nicht so wichtig, dass ich ihn endlich gefunden hatte. Es war nicht so wichtig, und doch empfand ich es so, in meinem unlogischen, unergründlichen Herzen. Ich war froh, diesen echten, atmenden Menschen zu haben, auf der langen Straße, die hinter mir lag. Und ich war froh zu wissen, dass es ihn gab.
    Lange nachdem Sol Falconer und ich uns die Hand gegeben hatten, und nach einer etwas unbeholfenen Umarmung, die richtig herzlich wurde, ging ich die Main Street hoch und versuchte mich zu sammeln. Es versprach heiß zu werden an jenem Tag, eine gleißende, knochenschmelzende Hitze, und die Junkies von der Highschool suchten bereits Schutz unter der riesigen alten Eiche in Farkle Park, denn es war sogar zu heiß, um Footbag zu spielen. Piddle Smalley stand schwitzend vor einem Haus und drückte die Klingel; er trug seine gelbe Regenhaut verkehrt herum und hatte wie immer den typischen Fleck im Schritt. Kleine Kinder quengelten wegen der Hitze, Autos quälten sich nur mühsam durch die sämige Luft, und selbst die alte Mrs. Pea, die die Treppe des Postamts wischte, hatte bereits Schweißflecken auf ihrer blauen Bluse. Als ich an dem alten Temple Park vorbeiging, wo früher das Herrenhaus gestanden hatte, sah ich jemanden auf der anderen Seite der Straße, der mich erneut erröten ließ. Ich lief rasch hinüber und unter die großen korinthischen Säulen der Stadtbibliothek, wo Ezekiel Felcher ausgestreckt auf den Marmorstufen im Schatten lag.
    Als ich mich näherte, bemerkte ich, wie gut aussehend er war. Er sah großartig aus. Seine dicke Wampe war zu einer schmalen Taille geschrumpft, und ich verspürte das wilde Verlangen, mit der Hand über die vielen kleinen Muskeln zu fahren, die sich in Reihen über seinen Bauch zogen. Seine Wangenknochen waren wieder zum Vorschein gekommen; er war braun gebrannt. Als er sah, wie ich ihn anschaute, und eine Augenbraue hob, musste ich lachen.
    Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck, und er sagte traurig: «Queenie. Komm, setz dich. Dieser Marmor hier ist die coolste Stelle in ganz Templeton.»
    «Krass», sagte ich, als ich neben ihm Platz nahm. Und das stimmte auch: Der Stein war geradezu schockierend kalt unter meinem Hinterteil.
    «Ich meinte, was die Temperatur angeht.»
    «Ich weiß, Zeke», sagte ich. «ich weiß. Bist du am Arbeiten? Beim Abschleppen? Autos, meine ich.»
    «Ja», grinste er. «Ist nicht viel los heute.» Ich tat so, als bemerkte ich nicht, wie genau er mich von der Seite anschaute.
    «Aha», machte ich und sagte erst mal nichts mehr. Über das Summen der Stadt hinweg, die Stimmen der Touristen, die ins Baseballmuseum strömten, konnte ich das verlangsamte Augustrauschen des Susquehanna hören, der nur noch halb so hoch stand wie noch vor ein paar Wochen, als ich nach Templeton zurückgekehrt war. Zeke setzte sich wieder auf und blickte mir ins Gesicht.
    «Ich bin ziemlich sauer auf dich, Willie», meinte er. «Ich hab gehört, dass du heute nach Kalifornien abhaust.»
    «Stimmt», sagte ich. Am Tag zuvor hatte ich bei der NYSHA-Bibliothek vorbeigeschaut, um Peter Lieder zum Abschied eine Abschrift von Vis Rezeptbuch vorbeizubringen. Außerdem hatte ich Hazel Pomery Guvnor Averells
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