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Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Titel: Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
Autoren: Heinz Malangré
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Pilgerfahrt — Aufbruch,
Ausbruch?
     
     
    Im Frühsommer 1985 sind wir von
Aachen nach Santiago de Compostela im nordspanischen Galicien gefahren. Der Weg
ging über die mittelalterlichen Pilgerstrecken, oder besser: über deren moderne
Überbauten, Autobahnen, Asphaltstraßen... Die Reise war ganz schön anstrengend,
wollten wir doch mit unserem Reisebus in gut zwei Wochen die Strecke
bewältigen, auf der die Fußpilger des Mittelalters vom zeitigen Frühjahr bis
zum Beginn des Winters — oder auch oft ein ganzes Jahr — unterwegs waren. Fast
6000km kamen zusammen... Und doch: welcher Komfort des Busreisenden gegenüber
dem Wandersmann, der mühsam allein, gefährdet die gewaltige Distanz
durchkämpfte, sie oft nicht schaffte... Uns wurde ein wenig klar, welche
Inbrunst, welche Kraft die Pilger des Mittelalters erfüllt haben muß, um solche
Abenteuer des Leibes und der Seele zu wagen und zu bestehen.
    Aber Pilgerfahrt ist nicht nur
Strapaze, sie ist auch Erlebnis und Freude: Was haben wir an Schönem in
Landschaft, Kunst und Leuten erleben dürfen! Unseren fußwandernden „Vorgängern“
wird es nicht anders ergangen sein. Über all das möchte ich hier berichten.
Dabei heißt der Grundakzent „Wallfahrt mit viel Freude“, nicht „Tourismus mit
frommer Verbrämung“. Ich hoffe jedenfalls, daß das so stimmt. Daher etwas
Grundsätzliches vornweg.
     
    Ein Spiel mit Begriffen:
    - Wallfahrt?
    - Reliquien?
    - Heiligenverehrung?
     
    Oder anders:
    - einen weiten Weg gehen?
    - ein Ziel haben?
    - im Symbol den Inhalt suchen?
    - an Gemeinschaft mit den
Verstorbenen glauben und von ihnen noch etwas erwarten?
     
    Man kann das „alt“ oder „neu“ formulieren,
es ist immer ein bißchen komisch. Es paßt nicht in unsere Zweckwelt.
    Oder positiv: es weist über uns
hinaus. Und es verweist uns auf Inhalte, mit denen unser Alltag nichts
anzufangen weiß, wenn dieser Alltag nur in der Bewältigung praktischer Nützlichkeiten
besteht.
    Doch ist das nicht gerade gut
und so wichtig: den Alltag zu überwinden und geistige Neuigkeiten in ihn
hereinzuholen, die ihn bereichern und den flüchtigen Tag zur erträglichen,
vielleicht sogar verklärten Dauer machen?
     
    So wollen wir denn „Wallfahrt“
versuchen als Weg zu anderen, weiteren, neuen Ufern. — Mit meinen Kindern und
ihren Freunden singen wir oft den „Fährmannkanon“; ich selbst habe ihn schon
als Kind gelernt:
     
    „Wer holt uns über ans andere
Ufer?
    Fährmann, Fährmann, komm und
hol über!
    Über, über, komm und hol über!“
     
    Andere Ufer? Der Ton liegt hier
auf „andere“, neue. Aber wenn wir über Wallfahrt, Pilgern, Reliquien,
Heiligenverehrung sprechen — ist das nicht ein Sichdrehen im Gestrigen, im
Alten, Traditionellen, Überholten? Wo sind da neue Ufer?
    Schon jetzt wird’s persönlich.
Es geht mir bei „neu“ und „alt“ nicht um Jahreszahlen, nicht um historische
Statistik. Es geht mir um mich selbst, um meine Zeit, um das, was ich bisher in
dieser Zeit wußte oder nicht wußte, um die Begegnung mit neu entdeckten
Wichtigkeiten, die zwar an sich „alt“ sind, aber doch bei der Begegnung
aufleuchten und aktuell werden, aktuell bis zur hautnah brennenden Frage: Was
hat das uns — mir — dir — heute noch zu sagen?
    So sind wir schon bei dem
Reiseerlebnis Santiago de Compostela. Hier ist genau das passiert: Begegnung
mit Vergangenheit, die sich umwandelt in geistig-geistliches Angebot für unsere
Gegenwart.
    Wie kann das sein? Wie kann uns
die Wallfahrt nach Santiago, wie kann uns Sankt Jakobus selbst helfen?
    Dafür gibt es gewiß tiefe
Erklärungen, und ich werde im Verlauf des Buches versuchen, ihnen nachzuspüren
und sie zu erläutern. — Doch denken wir vorweg ein wenig an den „Gegenstand“
der Wallfahrt, an Sankt Jakobus selbst.
    Wer ist er denn, der heilige
Jakobus, historisch? Was ist seine geistige und geistliche Aussage? In welchen
Bildern stellt er sich dar? Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem
historischen Befund und dessen religiöser und politischer Ausdeutung?
    Wenn wir diese Bögen
nachvollziehen, dann zeigt sich uns ein verwirrendes Bild, ein fast
unglaublicher Wandel, in dem wir unserem Jakobus in mehreren, widersprüchlichen
Gestalten begegnen. — Und das veranlaßt uns wieder zu einer Frage: Gibt es
„den“ Jakobus? Eine sehr vorläufige Antwort: Es gibt ziemlich sicher den
„wahren“ Jakobus. Und es gibt mit aller Sicherheit manchen „falschen“
Jakobus. Aber „who is who“? (Wer ist
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