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Die Meerjungfrau

Die Meerjungfrau

Titel: Die Meerjungfrau
Autoren: Carter Brown
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ERSTES KAPITEL
     
    W as fehlte, war leichtes,
amüsantes Geplauder. Etwa wie: »Na, Mrs. Baxter, wenn
das Ihr Mann ist, den sie eben aus dem Wasser ziehen, dann ist er jetzt
bestimmt Unterwasser-Weltmeister!«
    Der Gedanke kam mir flüchtig,
aber ich schlug ihn mir wieder aus dem Kopf. Als funkelnagelneue Witwe würde
sie die Sache zumindest vorläufig ernst nehmen. Und sie mußte sich aus ihrem
Mann etwas gemacht haben, sonst hätte sie nicht eine so teure Detektei wie die
Cramer-Agentur beauftragt, ihn zu suchen.
    Meine Zähne klapperten und
warteten darauf, daß mir ein paar Worte einfielen, womit ich das einigermaßen
hätte kaschieren können. Meine Beine waren eis- und meine Füße tiefgekühlt. Man
mußte es Paul Cramer lassen, er schanzte mir immer die besten Jobs zu. Den
einzigen Auftrag, den er mir bis jetzt noch nicht zugemutet hatte, war
Leichenfledderei — aber auch davor war ich meiner Ansicht nach keineswegs
sicher.
    Es war eine mondlose Nacht, und
der Fluß lag dunkel und schweigend da. Das einzige Geräusch kam von einer
quietschenden Ruderklampe am Polizeiboot irgendwo in der Dunkelheit. Neben mir
konnte ich den schnellen, gepreßten Atem der Blonden
hören. Sie hatte, seit wir hier waren, kein Wort gesprochen.
    Dann wurde das Quietschen der
Ruderklampe lauter. Ich hörte das unterdrückte Gemurmel von Stimmen, als das
Boot auf das Ufer zufuhr.
    Ich spürte, wie sich ihre Hand
an meinem Arm verkrampfte.
    »Nur ruhig, Mrs. Baxter«, sagte ich. »Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es gar nicht Ihr Mann.
Durchschnittlich werden drei Tote pro Woche aus dem Fluß gezogen.«
    »Wenn es Joe ist«, sagte sie
mit gepreßter Stimme, »dann möchte ich auch sterben.«
    »Wir wollen erst mal abwarten
und sehen«, sagte ich.
    Der Strahl einer Taschenlampe
durchdrang die Finsternis, und am Ufer entlang drängten sich dunkle Schatten
näher ans Wasser.
    »Bitte, laß es nur nicht Joe
sein«, flüsterte sie.
    Der Kiel des Bootes fuhr
knirschend am Ufer auf, und die Polizeibeamten umdrängten es.
    »Ich muß hingehen und es
sehen«, sagte sie.
    »Sie gehen zum Wagen zurück«,
sagte ich. »Wenn es nicht Ihr Mann ist, dann hat es gar keinen Sinn, daß Sie
hinuntergehen. Ich werde es bald feststellen.«
    »Gut«, sagte sie
niedergeschlagen, wandte sich von mir ab und kehrte zum Wagen zurück.
    Ich ging zum Ufer hinab. Ein
Kreis von Leuten stand vornübergebeugt um etwas herum, das vor ihnen auf der
Erde lag. Als ich näher kam, richtete sich eine der Gestalten auf und drehte
sich zu mir um.
    »Wer sind Sie?« fragte er.
    »Max Royal«, sagte ich. »Sind
Sie’s, Sam?«
    »Ja«, sagte Lieutenant Deane.
»Warum kommen Sie nicht auch rein, Max? Das Wasser ist herrlich.«
    »Die Witzkanone der Polizei«,
sagte ich. »Mal ‘ne Abwechslung.«
    »Warum soll ich keine Witze
reißen?« sagte er. »Ich habe mir gerade dort draußen eine doppelseitige Lungenentzündung
beim Herausfischen einer Leiche geholt. Das ist das Gute bei unserem Job, keine
Minute vergeht ohne Anlaß zu Heiterkeit.«
    »Haben Sie ihn identifiziert?«
    »Nein«, sagte er. »Sehen Sie
ihn sich mal am besten an, Max. Wenn es der Bursche ist, den Sie suchen,
ersparen Sie uns einige Mühe.«
    Wir durchbrachen den Kreis der
Umstehenden, und Sam beleuchtete mit der Taschenlampe das Gesicht des Toten.
    Ich betrachtete ihn genau,
wandte mich dann ab und zündete mir eine Zigarette an.
    »Ist er’s?« fragte Sam.
    »Nein«, sagte ich. »Der, den
wir suchen, ist ein großer Mann — fast einen Meter neunzig groß — und hat
blondes lockiges Haar.«
    »Pech!« sagte er. »Das bedeutet
weitere Arbeit für uns. Was ist überhaupt mit Cramer los? Ich dachte, euer
Laden sei zu exklusiv, um sich mit Vermißten abzugeben. Aber Paul ruft mich an und bittet mich, Sie wissen zu lassen, wenn
wir irgendwo auf die Leiche eines etwa fünfunddreißigjährigen Mannes stoßen
sollten. Geht das Geschäft bei euch so schlecht, Max?«
    »Keine Ahnung, Sam«, sagte ich.
»Ich bin dort bloß ein kleiner Angestellter.«
    »Okay«, sagte er. »Es ist also
Cramers und Ihre Angelegenheit. Wenn Sie mich das nächstemal treffen, können Sie mich zu einem Drink einladen.«
    »Ich werde Cramer bitten, mir
deshalb ein Memo zu schicken«, sagte ich. »Trotzdem vielen Dank. Wiedersehen,
Sam.«
    »Wiedersehen, Max.«
    Ich kehrte zum Wagen zurück und
setzte mich hinters Lenkrad. Mrs. Baxters Gesicht
neben mir war ein verschwommener weißer Fleck, als ich die Lichter des
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