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Die Meerhexe

Die Meerhexe

Titel: Die Meerhexe
Autoren: Alistair MacLean
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Arbeitskapital, daß er auch hundert Jahre mit Verlust kalkulieren kann – falls er überhaupt ein Minusgeschäft macht.«
    Eine längere Stille folgte. Cronkite saß nicht mehr so unbeweglich wie vorher. Sein Gesicht war zwar immer noch ausdruckslos, aber die Finger der Hand, in der er keine Zigarre hielt, trommelten leicht auf die Armlehne seines Stuhls. Für Cronkites Verhältnisse war das schon ein hysterischer Anfall.
    Und dann vergaßen die zehn Männer am Tisch all ihre edlen Ansichten über das Unterlassen von Ölbohrungen in internationalen Gewässern.
    »Warum«, sagte Mr. A., »kaufen wir ihn nicht einfach raus aus dem Geschäft?« Zur Ehrenrettung von Mr. A. muß gesagt werden, daß er nicht über Lord Worths Vermögensverhältnisse Bescheid wußte, sonst wäre ihm klar gewesen, daß Lord Worth ihn und alles, was ihm gehörte, aus seiner linken Tasche hätte aufkaufen können. »Wir könnten ihm doch die Rechte an der Meerhexe mit sagen wir hundert Millionen Dollar bezahlen. Nein, seien wir großzügig: mit zweihundert Millionen. Was spricht dagegen?«
    Corral sah ausgesprochen deprimiert aus. »Das ist leicht zu beantworten. Nach letzten Schätzungen ist Lord Worth einer der fünf reichsten Männer der Welt, und auch zweihundert Millionen Dollar wären für ihn nur ein paar Pennys.«
    Jetzt sah auch Mr. A. deprimiert aus.
    »Aber er würde sie sicher verkaufen«, meinte Benson.
    Mr. A.s Miene hellte sich sichtlich auf.
    »Und zwar aus zwei Gründen. Erstens würde er einen schnellen und großen Gewinn machen. Und zweitens könnte er für weniger als die Hälfte des Verkaufspreises eine zweite Meerhexe bauen, sie ein paar Meilen von der alten entfernt verankern lassen – in internationalen Gewässern gibt es keine Pachtrechte – und dann von dort sein Öl zum alten Preis an Land bringen lassen.«
    Mr. A. sank vernichtet in sich zusammen.
    »Wie wär's dann mit einer Partnerschaft«, schlug Mr. B. vor. Aber er sprach mit stiller Verzweiflung in der Stimme.
    »Ganz ausgeschlossen«, erklärte Henderson entschieden. »Wie alle superreichen Männer ist Lord Worth ein Einzelgänger. Er würde sich nicht einmal auf eine Partnerschaft mit dem König von Saudi-Arabien oder dem Schah von Persien einlassen, wenn sie ihm angeboten würde.«
    Die zehn Männer schwiegen entmutigt. John Cronkite hatte sich lange genug gelangweilt. Jetzt stand er auf und sagte ohne Einleitung: »Mein Honorar beträgt eine Million Dollar. Für Spesen verlange ich zehn Millionen. Ich werde über jeden Cent Buch führen und den eventuell verbleibenden Rest zurückerstatten. Ich verlange vollkommen freie Hand und lehne jede Einmischung von Ihrer Seite ab. Falls sich doch jemand einmischen sollte, werde ich den noch vorhandenen Spesenrest zurückgeben und die Arbeit niederlegen. Ich bin nicht bereit, Ihnen meine Pläne zu erläutern. Und es wäre mir am liebsten, wenn ich in Zukunft keinerlei Kontakt mehr mit Ihnen hätte.«
    Die Sicherheit und das Selbstvertrauen dieses Mannes waren erstaunlich. Die zehn Männer am Tisch fühlten sich so erleichtert, daß sie seine Bedingungen geradezu überstürzt akzeptierten. Die zehn Millionen Dollar – ein Bagatelle für Leute, die einen solchen Betrag jeden Monat für Bestechungen ausgaben – würden innerhalb von vierundzwanzig, spätestens nach achtundvierzig Stunden auf ein kubanisches Nummernkonto in Miami überwiesen – Miami war der einzige Ort in den Vereinigten Staaten, in dem Nummernkonten nach Schweizer Muster zugelassen waren. Aus steuerlichen Gründen würde das Geld natürlich nicht aus einem der Länder kommen, die die Männer am Tisch repräsentierten, sondern ironischerweise aus dem Kapital aus den Ölbohrungen gezogen werden.

II
    Lord Worth war groß, schlank und hielt sich sehr gerade. Sein Gesicht hatte die tiefe Bräune eines millionenschweren Playboys, der den ganzen Tag in der Sonne verbringt, aber Lord Worth arbeitete nur an wenigen Tagen weniger als sechzehn Stunden. Seine üppige Mähne und sein Schnurrbart waren schneeweiß. Nach seiner Haltung und seinem Gesichtsausdruck hätte er ein biblischer Patriarch sein können, ein römischer Senator von erstklassigem Format oder auch ein galanter Pirat des siebzehnten Jahrhunderts – wenn man einmal davon absah, daß wohl keiner von diesen jemals schneeweiße Alpaka-Anzüge getragen hat.
    Er war jeder Zoll ein Aristokrat. Im Gegensatz zu vielen Amerikanern, die Adelsprädikate wie Duke oder Earl als Vornamen tragen,
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