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Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Titel: Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
Autoren: Peter O'Donnell
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Salamander Vier
    Die lange Dämmerung begann um drei Uhr nachmittags und tauchte die Tannen- und Föhrenwälder, die der erste Schnee mit einer dünnen weißen Decke überzogen hatte, in ein sanftes Rot.
    Das Haus stand auf einer Lichtung zwischen einer schmalen Staubstraße und dem kleinen See mit seinen vielen winzigen weißen und grünen Felsinseln. Beim Haus gab es eine Sauna, nahe dem See, damit man nach der Hitze gleich in das eisige Wasser springen konnte.
    Das Holzhaus war ebenerdig; ein sehr großes Zimmer nahm beinahe den gesamten Raum ein. Es war warm.
    Im Kamin aus unbehauenen Steinen brannte ein offenes Holzfeuer und ergänzte die Zentralheizung. Im Keller unter dem dicken Holzboden stand ein Dieselgenerator, der für die Heißwasserpumpe und das Licht der Leuchtstoffröhren sorgte. Die Beleuchtung war geschickt angebracht und gab der massiven Werkbank ein tagähnliches Licht. Neben der Werkbank stand ein Mann.
    Er hielt einen Holzhammer und einen Hohlmeißel in der Hand, aber seit einer halben Stunde hatte er kein Werkzeug an das Holz gesetzt. Bloß seine tiefliegenden Augen arbeiteten, blickten von dem Tonmodell zu seiner Rechten auf die sechzig Zentimeter hohe Mahagonistatue vor ihm und dann wieder auf das lebende Modell, nach dem er vor drei Wochen den Tonentwurf modelliert hatte.
    Modesty Blaise sagte: «Können wir eine Pause machen, Alex? Kaffee und eine Zigarette?»
    Der Mann antwortete nicht. Er schien gar nicht bemerkt zu haben, daß sie sprach. Er war mittelgroß und dunkel, mit großen, ungeschickt wirkenden Händen.
    Für gewöhnlich war er langsam und geduldig, jetzt aber wirkte er ein wenig angespannt. Er kaute an der Unterlippe, während er die Statue anstarrte und die Flächen und Vertiefungen in dem satten dunklen Holz prüfte; er spürte der Maserung nach, dem Schwung von Rücken und Brust, der zarten Biegung des Halses.
    Modesty Blaise saß auf einem runden Tisch mit einer drehbaren Platte. Ihre Beine waren auf einer Seite angezogen, eine Hand ruhte etwas unterhalb des Knies.
    Sie lehnte ein wenig seitwärts, auf einen ausgestreckten Arm gestützt. Auf ihrem nackten Körper glänzten Lichtreflexe. Ihr Haar war zurückgekämmt und im Nacken zusammengehalten. Es war eine entspannte, natürliche Stellung. Alex Hemmer hatte sie in seinem Tonmodell genau eingefangen; und jetzt, drei Wochen später, hatte er die Pose auch in Holz festgehalten.
    Doch sowohl beim Modell wie bei der Holzplastik war das Gesicht noch unvollendet. Modesty wehrte sich gegen einen aufkommenden Schmerz in dem aufgestützten Arm und schaute zu, wie Alex Hemmer seine Werkzeuge ordentlich zu einer langen Reihe Hohl- und Flachmeißel legte, zu dem Tonmodell ging und wieder am Gesicht zu arbeiten begann. Während der letzten zwei Tage hatte er ein Dutzend Gesichter modelliert und wieder vernichtet, doch das war nichts, verglichen mit den Mühen und Enttäuschungen, die er am Beginn der Arbeit durchgemacht hatte.
    Sie fragte sich, ob John Dall mit dem endgültigen Resultat zufrieden sein würde – falls Alex jemals fertig werden sollte.
    Das Ganze hatte mit John Dall begonnen. Als einer der reichsten Männer Amerikas konnte er sich die Befriedigung einer kostspieligen Laune leisten. Und so hatte einer seiner Freunde eines Tages vor drei Monaten Alex Hemmer aus seinem einsamen Haus in Nordfinnland auf Dalls Ranch bei Amarillo in Texas gebracht, wo Modesty eben einen sechswöchigen Besuch beendete.
    Hemmer war kein weltberühmter Bildhauer, obwohl er Chancen hatte, einer zu werden. Aber er war ein ganz hervorragender Naturalist, ein Bildhauer, dessen Technik selbst von der abstrakten Schule bewundert wurde.
    «Ich will weder einen Moore noch einen Hepworth», erklärte Dall. Er war ein schlanker, sportlicher Mann von knapp vierzig Jahren, mit dichtem schwarzem Haar, das er kurz geschoren trug, und einem Gesicht, das auf einen indianischen Einschlag schließen ließ. «Ich will eine Statue, die ihr gleicht, Mr. Hemmer. Nicht lebensgroß. Ungefähr so groß.» Er hielt seine Hand in Tischhöhe. «Und ich hätte gern diese Stellung, weil sie oft so sitzt.» Er setzte sich auf einen großen Perserteppich und stützte sich seitlich auf einen Arm.
    Modesty lachte und meinte: «Du siehst süß aus, Johnnie.»
    Dall stand auf und grinste. «Das wirst du niemals, Liebling. Wenn die Statue süß aussieht, dann hat unser Freund gänzlich versagt.» Er wandte sich an den Bildhauer. «Was meinen Sie dazu, Mr. Hemmer?»
    Alex Hemmer
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