Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten

Titel: Modesty Blaise 06: Die Lady macht Geschichten
Autoren: Peter O'Donnell
Vom Netzwerk:
steckte noch in dem fleckigen, geschwärzten Ärmel.
    Der Mann hatte schütter werdendes braunes Haar und war vermutlich Mitte Vierzig. Nicht groß, aber drahtig. Auf seinem mageren Gesicht mit dem langen Kinn zeigten sich die Stoppeln eines eintägigen Bartes.
    Seine Augen waren geschlossen, und er murmelte etwas in einer fremden Sprache.
    Hemmer sagte: «Es klingt wie Deutsch.»
    «Ja.» Modesty blickte auf. «Gib mir die Schere, Alex.» Er reichte sie ihr etwas erstaunt und sah zu, wie sie den Ärmel der Windjacke und den dicken Pullover darunter aufzuschneiden begann. Dann erst erkannte er, daß die dunklen Flecken gestocktes Blut waren.
    «Ist er verletzt?»
    «Ja. Bringst du mir bitte die Erste-Hilfe-Schachtel aus dem Schlafzimmer, Alex? Und einen Krug mit heißem Wasser.»
    Er brachte ihr, was sie wollte, kniete nieder und begann eine der halb zugefrorenen Hände zu massieren, während er Modesty beobachtete. Sie arbeitete rasch und zielbewußt, als wäre ihr so etwas nicht fremd. Der Mann murmelte immer noch von Zeit zu Zeit etwas vor sich hin, und in seiner Stimme schwang ein Unterton der Verzweiflung mit.
    «Was sagt er?» erkundigte sich Hemmer.
    «Er sagt: ‹
Lassen Sie nicht zu, daß man mich findet. Man ist mir auf den Fersen
.›» Sie hatte die Kleidungsstücke vorsichtig von der Wunde entfernt und wusch jetzt den tiefen Riß in seinem Oberarm. Es war eine häßliche Wunde, klaffend und nässend. Hemmer hatte in Budapest Schlimmeres gesehen, trotzdem mußte er jetzt eine Welle der Übelkeit bekämpfen, während er sagte: «Was meint er wohl, Modesty?»
    «Ich glaube, er meint, daß die Männer, die auf ihn schossen, knapp hinter ihm her sind.»
    «Auf ihn schossen?»
    «Es ist eine Schußwunde. Du kannst die beiden Löcher im Ärmel seiner Windjacke sehen. Ein- und Austritt. Der Knochen ist nicht verletzt, aber viel Fleisch.»
    Sie legte einen Gazestreifen über die Wunde, dann einen Wattebausch und begann den Arm zu verbinden.
    «Später werden wir einen besseren Verband anlegen.
    Und wir werden auch den Brandy für später lassen. Das Wichtigste ist jetzt, ihn von hier fort und ins Schlafzimmer zu schaffen, bevor seine Freunde ankommen.»
    Hemmer stand auf. Nervös öffnete und schloß er seine großen Hände. «Wenn wir ihn verstecken, werden wir hineingezogen», sagte er.
    Sie beendete das Bandagieren, bevor sie antwortete.
    Ihr Gesicht war ruhig und gelassen. Sie sagte: «Gut. Ich verstehe, wie dir zumute ist. Aber der Mann ist verwundet. Hilf mir nur, ihn ins Schlafzimmer zu schaffen.»
    «Ich will nicht helfen, ihn zu verstecken», sagte Hemmer eigensinnig. «Mein Gott, er kann ein Verbrecher sein! Vielleicht sind die Leute, die er fürchtet, Polizisten. Wir wissen noch
gar nichts!
»
    «Das stimmt, Alex. Wir wissen noch nichts. Also sollten wir etwas herausfinden, bevor wir ihn den Wölfen zum Fraß vorwerfen.»
    Er ging im Zimmer auf und ab, eine Faust gegen die andere Handfläche gepreßt, unglücklich und unsicher.
    Als er sich umdrehte, sah er, daß es ihr gelungen war, den bewußtlosen Körper in eine kniende Stellung zu bringen. Plötzlich zerrte sie den Mann mit verblüffender Kraft auf die Beine und duckte sich, so daß sein Körper über ihre Schulter fiel; dann richtete sie sich langsam auf.
    Hemmer stieß einen ungarischen Fluch aus und stürzte auf sie zu. «Na gut! Ich werde ihn tragen.»
    Leicht gebeugt unter der Last sah sie ihn an. Der Umhang hatte sich geöffnet, und er konnte ihre angespannten Magenmuskeln sehen. «Alex, wir sind hineingezogen worden, seit dieser Mann in unser Zimmer fiel», sagte sie, «ob du es wahrhaben willst oder nicht.
    Wenn wir ihn hier auf dem Boden liegen lassen, so daß ihn seine Feinde – wer immer sie sein mögen – finden, ist das ebenso eine Handlung, die uns hineinzieht, wie wenn wir ihn verstecken. Ich verlange nicht von dir, eine Entscheidung zu treffen. Ich sage dir bloß, daß ich mich entschieden habe. Entweder wir verstecken ihn jetzt, oder ich schleppe ihn in mein Auto und fahre fort. Ich will dich nicht zu etwas drängen; sage mir nur, was dir lieber ist.»
    Hemmer fluchte nochmals, dann sagte er: «Ins Schlafzimmer mit ihm! Nur steh nicht mehr mit dieser Last auf dem Rücken herum!»
    Sie wandte sich um und ging langsam durch die Tür. Hemmer folgte und half ihr, den Mann auf das Bett zu legen. Sie streifte die feuchte Unterwäsche von dem reglosen Körper, legte die Wärmflaschen um ihn herum und häufte Decken und ein Federbett
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher