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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes
Autoren: Paul Hoffman
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an.
    »Tritt näher.«
    Der Junge ging auf ihn zu.
    »Ach, du bist das«, sagte der dicke Mönch. »Was machst du hier?«
    »Der Zuchtmeister schickt mich, das hier zur Trommel zu bringen.« Und dabei hob er den blauen Sack hoch, den er in der Hand hielt.
    »Was hast du gesagt? Sprich lauter!«
    Cale wusste selbstverständlich, dass der dicke Mönch auf einem Ohr taub war, und hatte absichtlich leise gesprochen.
    Also wiederholte er diesmal laut, was er gesagt hatte.
    »Machst du Witze, Kleiner?«
    »Nein, gnädiger Vater.«
    »Was hast du da am Fenster gemacht?«
    »Am Fenster?«
    »Halte mich nicht zum Narren. Was hast du da gemacht?«
    »Ich habe gehört, wie das nordwestliche Tor geöffnet wurde.«
    »Wirklich?«
    Das schien ihn zu interessieren.
    »Die sind aber früh dran.« Er knurrte ärgerlich, dann wandte er sich ab und schaute wieder in die Küche. Das war sein Reich. Unter seiner Aufsicht wurde dort für das leibliche Wohl der Mönche gesorgt, während die Jungen kaum etwas zu beißen bekamen.
    »Zwanzig zusätzliche Portionen zum Abendessen«, schrie er in die Dampfschwaden hinter ihm. Dann widmete er sich abermals Cale.
    »Hast du dir beim Hinausschauen Gedanken gemacht?«
    »Nein, gnädiger Vater.«
    »Hast du geträumt?«
    »Nein.«
    »Wenn ich dich hier wieder herumbummeln sehe, Cale, gerbe ich dir das Fell. Hast du mich verstanden?«
    »Jawohl.«
    Der Küchenmeister trat in die Küche zurück und schloss die Tür hinter sich, während Cale leise, aber für jeden mit guten Ohren noch deutlich vernehmbar sagte: »Wohl bekomm’s, alter Fettarsch.«
    Den Sack hinter sich herziehend, setzte Cale seinen Weg fort. Obwohl er die meiste Strecke im Laufschritt zurücklegte, dauerte es fast eine Viertelstunde, bis er die Trommel erreichte. Sie hieß so, weil sie tatsächlich so aussah, wenn man einmal außer Acht ließ, dass sie einen Durchmesser von zwei Metern besaß und in eine Ziegelmauer eingelassen war. Auf der anderen Seite der Trommel lag ein Bereich, der vom übrigen Kloster abgetrennt war. Es hieß, dort lebten zwanzig Nonnen, die nur für die Erlösermönche kochten und deren Kleidung wuschen. Cale wusste nicht, was eine Nonne war und hatte auch nie eine zu Gesicht bekommen, obgleich er hin und wieder mit einer durch die Trommel hindurch sprach. Er wusste auch nicht, was Nonnen von den übrigen Frauen unterschied, über die ebenfalls nur selten und wenn dann mit Abscheu gesprochen wurde. Allerdings mit zwei Ausnahmen: die heilige Schwester des Gehenkten Erlösers und die Selige Imelda Lambertini, die im Alter von acht Jahren in der Ekstase über ihre erste Heilige Kommunion aus dem Leben geschieden war. Die Mönche hatten nicht erklärt, was Ekstase bedeutete, und niemand war so töricht, danach zu fragen. Cale gab der Trommel einen Schubs, worauf sie sich um ihre Achse drehte und eine Öffnung freigab. Er warf den blauen Sack hinein und versetzte ihr erneut einen Schubs. Dann pochte er dagegen und es schepperte laut. Er wartete etwa eine halbe Minute, dann ließ sich eine gedämpfte Stimme auf der anderen Seite der Trommel vernehmen: »Was gibt es?«
    »Der Kriegsmeister Monsignore Bosco möchte das hier bis morgen früh gewaschen haben.«
    »Wieso ist das nicht zusammen mit den anderen Sachen gekommen?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    Auf der anderen Seite gab eine schrille Frauenstimme einer kaum verhaltenen Wut Ausdruck.
    »Wie lautet dein Name, du gottloses Bübchen?«
    »Dominic Savio«, log Cale.
    »Nun, Dominic Savio, ich werde dich beim Zuchtmeister melden. Der wird dir eine Tracht Prügel verabreichen.«
    »Das kümmert mich herzlich wenig.«

    Zwanzig Minuten später stand Cale im Amtszimmer des Kriegsmeisters. Im Zimmer war niemand außer dem Kriegsmeister selbst, der aber nicht aufschaute oder erkennen ließ, dass er Cale bemerkt hatte. Für weitere fünf Minuten fuhr er fort, in sein Buch zu schreiben. Ohne die Augen zu heben, fragte er schließlich: »Warum hast du so lange gebraucht?«
    »Der Küchenmeister hat mich im Gang bei den Außenmauern aufgehalten.«
    »Was wollte er?«
    »Er hat ein Geräusch von draußen gehört, glaube ich.«
    »Was für ein Geräusch?« Jetzt sah der Kriegsmeister Cale an. Er hatte helle, wasserblaue Augen, denen so gut wie nichts entging.
    »Man hat das nordwestliche Tor geöffnet, um die Novizen einzulassen. Er hat heute nicht mit ihnen gerechnet. Offenbar ist auf seine Nase kein Verlass mehr.«
    »Halte deine Zunge im Zaum«, sagte der
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