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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes
Autoren: Paul Hoffman
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Kriegsmeister, aber verglichen mit seiner sonstigen Strenge in eher mildem Ton. Cale wusste, dass der Kriegsmeister den Küchenmeister nicht ausstehen konnte, daher war es nicht so gefährlich, über diesen Mönch derart zu reden.
    »Ich habe einen deiner Freunde gefragt, was es mit dem Gerücht von der Ankunft der Novizen auf sich habe«, fuhr der Kriegsmeister fort.
    »Ich habe keine Freunde, gnädiger Vater«, erwiderte Cale. »Freunde sind verboten.«
    Der Kriegsmeister lachte leise und durchaus nicht hämisch.
    »Da mache ich mir keine Sorgen, Cale. Aber wenn wir das Spielchen schon weitertreiben müssen – ich meine den dünnen, blonden Burschen. Wie nennt ihr ihn doch gleich?«
    »Henri.«
    »Seinen Klosternamen weiß ich. Aber ihr habt einen Spitznamen für ihn.«
    »Wir nennen ihn >Vague Henri<.«
    Der Kriegsmeister lachte, und diesmal verriet sein Lachen wirklich gute Laune.
    »Sehr schön«, bemerkte er anerkennend. »Ich habe ihn gefragt, wann die Frischlinge angekommen seien, und er meinte, er wisse es nicht genau, irgendwann zwischen dem achten und dem neunten Glockenschlag. Dann fragte ich ihn, wie viele es denn seien, und er antwortete, an die fünfzehn, aber vielleicht auch mehr.« Er schaute Cale direkt in die Augen. »Ich lehrte ihn mit Stockschlägen, künftig genauer zu sein. Was sagst du dazu?«
    »Ich bin ganz Eurer Meinung, gnädiger Vater«, erwiderte Cale ungerührt. »Er hat die Strafe, die Ihr ihm verabreicht habt, verdient.«
    »Ach ja? Wie erfreulich, dass du genauso denkst. Wann sind die Neuen angekommen?«
    »Kurz vor fünf.«
    »Wie viele waren es?«
    »Zwanzig.«
    »Wie alt?«
    »Keiner jünger als sieben. Keiner älter als neun.«
    »Welcher Herkunft?«
    »Vier Mestizen, vier Uitländer; drei Folder, fünf Halbblut, drei Meeraner und einer, den ich nicht einordnen konnte.«
    Der Kriegsmeister murmelte etwas Unverständliches, als wäre er auch mit dieser genauen Antwort immer noch nicht ganz zufrieden. »Geh zum Kartentisch. Ich habe da eine Aufgabe für dich aufgebaut. Du hast zehn Minuten Zeit.«
    Cale ging an einen langen, schmalen Tisch, auf dem der Kriegsmeister eine Landkarte ausgerollt hatte, deren Enden etwas über die Tischkante hingen. Man erkannte mit einem Blick, was auf der Karte eingezeichnet war – Berge, Flüsse, Wälder -, aber darüber hinaus lagen noch Holzklötzchen auf der Karte, manche mit Zahlen, andere mit Geheimzeichen versehen, manche in Reih und Glied, andere offenbar wahllos verstreut. Cale schaute die gewährten zehn Minuten lang auf die Karte, dann hob er die Augen.
    »Also?«, fragte der Kriegsmeister.
    Cale erläuterte seine Lösung.
    Nach zwanzig Minuten war er damit fertig, die Hände ausgestreckt.
    »Sehr scharfsinnig, sogar brillant«, sagte der Kriegsmeister. In Cales Augen tauchte ein Flackern auf. Plötzlich und unglaublich schnell schlug ihn der Mönch mit einem nietenbesetzten Ledergürtel auf die linke Hand.
    Cale seufzte auf und biss die Zähne zusammen. Sofort zeigte sein Gesicht wieder die kalte Aufmerksamkeit, die der Mönch von Cale gewohnt war. Der Kriegsmeister setzte sich und betrachtete den Jungen wie ein interessantes, aber seine Ansprüche noch nicht zufrieden stellendes Objekt.
    »Wann wirst du endlich begreifen, dass die brillante Lösung allein deinem Hochmut entspringt? Sie mag Erfolg haben, dennoch ist damit ein hohes Risiko verbunden. Du kennst sehr wohl die bewährte Lösung für diese strategische Aufgabe. Im Krieg sind glanzlose Erfolge immer besser als brillante. Du musst erst noch begreifen, warum das so ist.«
    Er schlug mit der Faust auf den Tisch.
    »Hast du vergessen, dass ein Erlöser das Recht hat, jeden Zögling, der etwas Unerwartetes tut, auf der Stelle zu töten?«
    Der Tisch schepperte unter einem weiteren Faustschlag. Der Mönch stand auf und sah den Jungen zornig an. Aus Cales immer noch ausgestreckter Hand tropfte Blut. »Kein anderer ist so nachsichtig mit dir gewesen wie ich. Der Zuchtmeister hat dich schon lange im Visier. Alle paar Jahre statuiert er ein Exempel. Willst du als Glaubensopfer enden?«
    Cale starrte wortlos geradeaus.
    »Antworte mir!«
    »Nein, gnädiger Vater.«
    »Hältst du dich für unersetzlich, du Nichtsnutz?«
    »Nein, gnädiger Vater.«
    »Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld«, sagte der Kriegsmeister und schlug sich dabei dreimal an die Brust. »Du hast vierundzwanzig Stunden Zeit, in dich zu gehen und über deine Sünden nachzudenken. Dann
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