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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes
Autoren: Paul Hoffman
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holte aus einer im Saum versteckten Geheimtasche einen großen Kieselstein hervor. Er zielte sorgfältig und schleuderte den Stein dann ins Halbdunkel. Dort quietschte eine Ratte auf, während die anderen fortstoben. Kleist holte aus der Tasche ein Tuch und entfaltete es umständlich. Mit dem Tuch packte er die Ratte und brach ihr mit einem einzigen Griff das Genick. Dann steckte er Tuch und Ratte in dieselbe Tasche.
    »Den Rest erledige ich später.«
    »Das hier ist ein Tunnel«, sagte Cale. »Er muss also früher einmal irgendwohin geführt haben, und vielleicht tut er das auch heute noch.«
    Über eine halbe Stunde lang folgten sie dem Tunnel, dann brach Cale das Schweigen.
    »Warum hast du mir gegenüber behauptet, hier gebe es etwas zu essen, wenn du doch noch nie selbst hier drin gewesen bist?«
    »Das ist doch klar«, sagte Henri. »Andernfalls wärest du doch niemals mitgekommen.«
    »Du hast mir Essen versprochen, Kleist, und ich war so dumm, dir zu vertrauen.«
    »Ich dachte, du wärest bekannt dafür, keiner Menschenseele zu trauen«, sagte Kleist. »Übrigens haben wir eine Ratte, also habe ich nicht gelogen. Aber davon einmal abgesehen, hier gibt es noch mehr zu essen.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Henri mit einer Stimme, die den Hunger nicht verleugnete.
    »Hier gibt es jede Menge Ratten. Ratten müssen immer fressen. Also müssen sie ihr Fressen von irgendwoher bekommen.«
    Plötzlich blieb Kleist stehen.
    »Was ist los?«, fragte Henri.
    Kleist streckte die Laterne nach vorn. Vor ihnen befand sich eine Mauer, aber ohne Tür.
    »Vielleicht ist die Tür hinter dem Mörtel versteckt«, bot Kleist als Erklärung an.
    Cale strich mit der flachen Hand über die Mauer und klopfte sie dann mit den Fingerknöcheln ab. »Das ist kein Mörtel, das ist Beton. Der gleiche wie an den Außenmauern.« An ein Durchbrechen war hier nicht zu denken.
    »Wir müssen wieder umkehren. Vielleicht haben wir irgendwo einen Seiteneingang übersehen. Wir haben ja danach nicht Ausschau gehalten.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Cale. »Außerdem... wie lange wird die Kerze wohl noch brennen?«
    Kleist schaute nach dem Talgstummel. »Vielleicht noch zwanzig Minuten.«
    »Was sollen wir tun?«, fragte Vague Henri.
    »Das Licht löschen und nachdenken«, schlug Cale vor.
    »Gute Idee«, stimmte Kleist zu.
    »Schön, dass du auch so denkst«, murmelte Cale und setzte sich auf den Boden.
    Auch Kleist ließ sich nieder, öffnete die Laterne und drückte die Lichtflamme zwischen Daumen und Zeigefinger aus.
    Alle drei saßen nun im Dunkeln da und hatten den Geruch des Kerzenqualms in der Nase. Der Gestank von ranzigem Rindertalg löste in ihnen nur eine Erinnerung aus: Fleisch.
    Nach einer Weile meldete sich Vague Henri zu Wort.
    »Ich dachte gerade...« Er brachte den Satz nicht zu Ende. Die anderen warteten. »Das ist doch das Ende eines Tunnels...« Wieder verfiel er in Schweigen. »Aber da kann es doch nicht nur einen Eingang geben... Nur so ein Gedanke.«
    »Einen Gedanken nennst du das?«, empörte sich Kleist. »Schmeichle dir nicht selbst.«
    Vague Henri erwiderte darauf nichts.
    Cale erhob sich. »Zünd die Kerze wieder an.«
    Kleist brauchte eine Minute, um mit Feuerstein und Zunder Feuer zu machen, dann hatten sie wieder Licht. Cale ging in die Hocke.
    »Gib Henri die Laterne und setz dich auf meine Schultern.«
    Kleist gab die Laterne ab, stieg auf Cales Schultern und legte die Beine um dessen Nacken. Stöhnend stemmte ihn Cale in die Höhe.
    »Nimm wieder die Laterne.«
    Kleist tat wie geheißen.
    »Jetzt schau dir die Tunneldecke an.«
    Kleist hob die Laterne und sah nach oben, ohne recht zu wissen, wonach er suchen sollte.
    »Da!«, rief er plötzlich laut.
    »Sei doch still, verdammt noch mal!«
    »Da ist eine Luke in der Decke«, flüsterte er überglücklich.
    »Reichst du da hinauf?«
    »Ja. Ich brauche mich nicht mal zu strecken.«
    »Vorsicht. Drück nur ganz vorsichtig dagegen. Es könnten ja Leute in der Nähe sein.«
    Kleist übte mit der flachen Hand vorsichtig Druck gegen den Rand der Luke aus.
    »Sie gibt nach.«
    »Drück sie auf und riskier einen Blick.«
    Ein kratzendes Geräusch.
    »Nichts. Es ist dunkel. Ich stelle die Laterne nach oben.« Wieder Stille. »Ich sehe immer noch nicht viel.«
    »Kommst du da oben rauf?«
    »Wenn ihr mich nach oben stemmt. Und wenn ich mich an der Kante der Luke festhalte. Jetzt!«
    Cale packte Kleists Füße und drückte sie nach oben. Kleist stemmte sich hoch und
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