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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes
Autoren: Paul Hoffman
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sagte Cale. »Jetzt bin ich erwacht und wütend über mich selbst. Sagt mir, was Ihr mir zu sagen habt.«
    Bosco setzte sich an einen Tisch, sonst gab es keine weiteren Möbel im Zimmer.
    »Vor dreißig Jahren ging ich, ehe ich Priester wurde, in die Einöde, um zu fasten und zu beten. Da erschien mir die Mutter des Gehenkten Erlösers, gelobt sei sie, in Gestalt von drei Visionen. In der ersten sagte sie mir, Gott habe vergebens auf die Reue der Menschen gewartet, die seinen Sohn hingerichtet hatten, nun habe er alle Hoffnung für sie aufgegeben. Die Verderbtheit der Menschen sei groß und ihr Sinnen und Trachten gehe nur auf das Böse. Es reue ihn, den Menschen überhaupt erschaffen zu haben. In einer zweiten Vision verkündete sie mir folgende Botschaft Gottes: >Das Ende allen Fleisches ist nah; du wirst alle lebenden Menschen, ob Mann oder Frau, die ich geschaffen habe, vom Antlitz der Erde vertilgen. Ist dein Werk vollendet, wird diese Welt zu Ende gehen, die Geretteten kommen ins Paradies, und fortan wird es weder Männer noch Frauen geben. ☇ Ich fragte sie, wie es möglich sei, das zu bewerkstelligen, aber sie gebot mir nur, weiter zu fasten und auf die letzte Vision zu warten. In der dritten und letzten Vision kam sie mit einem kleinen Jungen, der hielt einen Weißdornstock in der Hand. Von dem einen Ende dieses Stockes tropfte Essig. >Mach dich auf die Suche nach dem Kind<, sagte sie, >und wenn du es gefunden hast, bereite es auf seine Aufgabe vor. Dieser Junge ist die linke Hand Gottes, sein Name ist Engel des Todes, und er wird alles vollenden. ☇ «
    Die ganze Zeit über wirkte Bosco wie in Trance, als säße er nicht in einem Zimmer in Memphis, sondern kniee wie vor dreißig Jahren in der Wüste von Fatima und höre auf die Worte der Mutter Gottes. Dann, als sei plötzlich ein Licht ausgegangen, kam er wieder zu sich. Er schaute Cale an.
    »Sobald ich den Jungen sah, der vor zehn Jahren in die Ordensburg kam, erkannte ich ihn.« Und er lächelte Cale seltsam an, ein Lächeln voll zärtlicher Liebe. »Der Junge warst du.«
    Eine Woche später macht ein Trupp kurz Halt in der Festung. Unter den Berittenen waren der Ordensgeneral Bosco und an seiner Seite Cale. Zu denen, die ihre Abreise beobachteten, gehörte Marschall Materazzi, Kanzler Vipond und die führenden Gefolgsleute, die die Schlacht von Silbury Hill überlebt hatten. Zwischen ihnen standen zwei Reihen Erlösermönche, die verhindern sollten, dass der jetzt wieder freie, wenn auch unbewaffnete Cale Unheil anrichtete. Bosco gefiel es, den Marschall vorerst hierzubehalten. Hingegen hielt er es für klüger, Cale nicht durch die Anwesenheit der jungen Frau zu provozieren. Daher hatte er ihr – zu ihrer großen Erleichterung – persönlich befohlen, sich die öffentliche Demütigung, ihrem Vater und allen anderen in Memphis ausgeliefert zu werden, zu ersparen. Stattdessen sollte sie von einem Fenster aus zusehen und zuhören. Man brauchte sie nicht darauf hinweisen, sich nicht zu zeigen.
    Allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz fragte sich Bosco, ob es klug war, Cale gänzlich ohne Fesseln zu lassen. Cale hielt sein Pferd an und blickte über die Köpfe der Soldaten hinweg den Marschall an. Neben dem Marschall stand Simon, er machte einen verwirrten Eindruck. Cale schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Als er sich dann an den Marschall wandte, sprach er so leise, dass er über dem Schnauben der unruhigen Pferde kaum zu verstehen war.
    »Ich habe eine Botschaft an Eure Tochter«, sagte Cale. »Die Bande, die uns zusammenhalten, sind so stark, dass selbst Gott sie nicht lösen könnte. Wenn eines Tages eine leise Brise an ihre Wange dringt, könnte das mein Atem, und wenn eines Nachts ein kühler Hauch in ihrem Haar spielt, könnte das mein vorübergehender Schatten sein.«
    Und nach dieser schrecklichen Drohung schaute er geradeaus und der Trupp setzte sich wieder in Bewegung. In weniger als einer Minute waren sie fortgeritten. Weiß und kalt wie Alabaster stand Arbell Schwanenhals im Halbdunkel ihres Gemaches.
    Der Marschall und sein Gefolge zogen sich rasch zurück, schweigend dachten sie über ihre Demütigung nach. Als Vipond gemeinsam mit Hauptmann Albin in seinen Palast zurückkehrte, vertraute er seinem Begleiter an: »Wisst Ihr, Albin, je älter ich werde, desto mehr glaube ich, wenn man Liebe nach ihren äußeren Zeichen beurteilen müsste, dann sieht sie dem Hass ähnlicher als der Freundschaft.«
    Nach einem halben Tag hatte der Trupp die
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