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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes
Autoren: Paul Hoffman
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zog sich mit einem Krachen der Luke nach oben.
    »Leise!«, zischte Cale.
    Dann war Kleist nicht mehr zu sehen.
    Cale und Vague Henri warteten im Dunkeln, in das nur der Schein der Laterne durch die offene Luke fiel. Aber selbst der wurde noch schwächer, als Kleist den Raum über ihnen absuchte. Schließlich wurde es ganz dunkel.
    »Können wir uns darauf verlassen, dass er nicht abhaut?«
    »Na ja«, sagte Vague Henri. »Ich glaube schon.«
    Doch er sprach nicht weiter, denn nun fiel wieder etwas Licht zu ihnen herein, und Kleists Kopf erschien in der Luke.
    »Hier oben ist eine Kammer«, flüsterte er. »Und durch eine weitere Luke dringt etwas Licht.«
    »Steig auf meine Schultern«, sagte Cale zu Vague Henri.
    »Und was wird aus dir?«
    »Mach dir keine Sorgen um mich. Wenn du auch oben bist, könnt ihr beide mich raufziehen.«
    Vague Henri war viel leichter als Kleist; es war ein Kinderspiel, ihn hochzuhieven.
    »Häng die Laterne möglichst tief.«
    Kleist ließ seinen Oberkörper nach unten hängen, während Vague Henri dessen Füße belastete.
    Cale trat an die Wand des Tunnels, suchte Halt in einer Spalte und zog sich nach oben. So kletterte er, bis er eine Hand von Kleist erreichte.
    »Bist du so weit?«, fragte Cale.
    »Konzentrier dich, Cale. Ich gebe jetzt Henri die Laterne.«
    Sogleich wurde es wieder dunkel, während Kleists Oberkörper immer noch durch die Luke baumelte.
    »Ich zähle bis drei«, sagte Kleist. »Eins, zwei, drei.«
    Cale löste sich von der Wand und schwang sich ins Leere. Kleist stöhnte auf, als er Cales volles Gewicht zu spüren bekam. Cale wartete einen Augenblick, bis das Pendeln nachließ. Dann langte er mit der freien Hand nach oben und packte Kleists Schulter, während Henri an Kleists Füßen zog. Sie bewegten sich kaum eine Spanne weit, doch das reichte Cale, den Rand der Luke zu fassen zu bekommen und damit die Last für seine Kameraden zu verringern.
    Nach einer kurzen Pause zogen ihn die beiden durch die Luke.
    Alle drei lagen keuchend vor Anstrengung auf dem hölzernen Fußboden. Cale erhob sich als Erster.
    »Zeig mir die andere Luke.«
    Kleist stand auf, nahm die Laterne mit der mittlerweile fast heruntergebrannten Kerze und ging ans andere Ende der Kammer, die etwa sechs Schritte lang und vier Schritte breit war. Er kauerte sich vor die Luke, während die anderen beiden ihm folgten.
    Neben der Luke war eine Ritze. Cale brachte ein Auge so nahe wie möglich heran, doch außer einem Lichtschein konnte er keine Einzelheiten erkennen. Dann legte er ein Ohr an die Ritze.
    »Kannst du irgendetwas...«
    »Still!«, zischte Cale.
    Das Ohr an die Ritze gepresst, lauschte er gut zwei Minuten lang. Schließlich stand er auf und untersuchte die Luke. Auf den ersten Blick bot sich keine Handhabe. Er tastete die Ränder ab, bis er eine Lücke fand. Dann zog er daran, und die Luke gab mit einem kratzenden Geräusch nach. Cale winselte vor Schmerz. Die Lücke war nicht groß genug für einen Finger, er hatte die Fingernägel ins Holz drücken müssen, um überhaupt Halt zu finden. Es tat höllisch weh, doch dann ging die Luke so weit auf, dass er mit der Hand unterfassen konnte. Er hob die Luke vollends hoch, sodass alle drei Jungen hindurchschauen konnten.
    Gut vier Klafter unter ihnen bot sich ein Anblick, der alles übertraf, was sie jemals erträumt hatten, ja er übertraf sogar ihre kühnsten Träume.

DRITTES KAPITEL
    M ucksmäuschenstill und regungslos starrten die drei Jungen in die Küche, denn um nichts anderes handelte es sich. Jede verfügbare Fläche war mit Schüsseln und Platten voller Speisen bedeckt. Was gab es da nicht alles: gebratenes Hühnchen, dicke Scheiben Roastbeef, Schweinebraten, dessen knusprige Kruste beim Hineinbeißen knacken musste; außerdem frischgebackenes Brot mit glänzender, dunkler Kruste, Schüsseln mit weißen und roten Zwiebeln, dazu Reis mit Früchten, pralle Weintrauben und Äpfel. Schließlich Süßspeisen aller Art, Eierschaumgebäck, sämige tiefgelbe Vanillesoße und Schüsseln mit süßem Rahm.
    Für das Meiste, was die Jungen sahen, hatten sie keine Worte. Wie sollten sie auch ein Wort wie Vanillesoße kennen, wenn sie nicht einmal geahnt hatten, dass es so etwas überhaupt gab. Oder dass Roastbeefscheiben und Hähnchenbrustfilets irgendetwas mit Hühnerklein, Schweinepfoten und Innereien gemein hatten, die, wahllos in Bottichen verrührt und dann gekocht, bisher ihren Begriff von Fleischgeschmack ausgemacht hatten. Man stelle sich
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