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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes
Autoren: Paul Hoffman
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Rechteck mit einem Türschloss dargestellt. Selbstverständlich bezog sich die Ablehnung der Tür nicht auf die Erlösermönche selbst. Als Zeichen der Erwähltheit galt nunmehr, dass jeder eine Tür vor seinem Arbeitsraum und vor seiner Schlafzelle hatte. Die Heiligkeit der Erlöser war an der Anzahl der Schlüssel abzulesen, die sie an der Kette um die Hüften trugen. Beim Gehen mit den Schlüsseln zu klimpern, bedeutete, dass man bereits auf Erden für das Himmelreich auserkoren war.
    Auf eine unbekannte Tür zu stoßen, war also eine Sensation.
    Nachdem sich Cales Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er neben der Tür alten Mörtel und zerbrochene Ziegelsteine.
    »Ich wollte mich vor Tschetnik verstecken«, sagte Vague Henri, »und da habe ich diese Stelle gefunden. Der Mörtel in der Ecke bröckelte schon. Beim Warten fing ich an, daran zu kratzen, da kam alles runter. Offenbar ist Wasser eingedrungen.«
    Cale rüttelte vorsichtig an der Tür.
    »Die ist abgeschlossen.«
    Kleist und Vague Henri lächelten. Kleist langte in die Tasche und holte etwas hervor. Cale hatte noch nie einen Schlüssel in der Hand eines Zöglings gesehen. Der Schlüssel war groß, massiv und ganz verrostet. Alle betrachteten ihn mit leuchtenden Augen. Kleist steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn ächzend um. Mit einem metallischen Geräusch gab das Schloss nach.
    »Woher habt ihr den Schlüssel?«, fragte Cale. Kleist und Vague Henri freuten sich, dass Cale zu ihnen sprach, als ob sie Tote auferweckt hätten oder übers Wasser gegangen wären.
    »Das verrate ich dir, wenn wir drin sind. Komm jetzt.« Kleist lehnte sich mit der Schulter gegen die Tür, und die anderen taten es ihm gleich. »Drückt nicht zu fest, die Türangeln sind vermutlich verrostet. Wir wollen keinen Lärm machen. Ich zähle bis drei.« Erwartete. »Fertig? Eins, zwei, drei.«
    Sie drückten alle gemeinsam. Nichts. Die Tür gab nicht nach. Sie hielten inne und holten tief Luft. »Eins, zwei, drei.«
    Sie stemmten sich gegen die Tür, bis sie quietschend ein kleines Stückchen nachgab. Sofort traten sie zurück. Gehört werden, hieß geschnappt werden und das wiederum hätte Gott weiß welche Folgen gehabt.
    »Dafür könnte man uns hängen«, sagte Cale. Die anderen schauten ihn an.
    »Das nicht. Hängen wohl nicht.«
    »Monsignore Bosco hat zu mir gesagt, der Zuchtmeister suche nach einem Vorwand für ein abschreckendes Beispiel. Das letzte Hängen liegt fünf Jahre zurück.«
    »Das würden sie nicht tun«, wiederholte Henri, sichtlich verstört.
    »Würden sie doch. Menschenskind, das ist eine Tür! Und ihr habt den Schlüssel dazu.« Cale wandte sich an Kleist. »Du hast mich angelogen. Du weißt gar nicht, was da drin ist. Wahrscheinlich ist es bloß ein toter Gang, wo es nichts zum Mitnehmen gibt.« Er sah den anderen in die Augen. »Das ist das Risiko nicht wert, Henri, aber dich kann es den Hals kosten. Ich steige aus.«
    Er wollte sich schon abwenden, da ertönte vom Wandelgang eine ungeduldige, wütende Stimme herüber.
    »Wer ist da? Was ist das für ein Lärm?«
    Im nächsten Augenblick hörten sie ein Knirschen auf dem Kiesweg vor dem Gehenkten Erlöser. Es waren die Schritte eines Erwachsenen und sie kamen näher.

ZWEITES KAPITEL
    B lankes Entsetzen war noch ein milder Ausdruck im Vergleich zu dem Gefühl, das Kleist und Vague Henri ergriff, als das knirschende Geräusch an ihre Ohren drang. Wegen einer Torheit hatten sie nun die Gewissheit kommender Grausamkeit: die im grauen Morgenlicht versammelte schweigende Menge, ihre eigenen Schreie, als sie zum Galgen gezerrt werden, das schreckliche stundenlange Warten während der gesungenen Messfeier und dann der Strang und das Baumeln in der Luft, das Röcheln, die letzten Tritte ins Leere.
    Nur Cale ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Mit einer wortlosen Anstrengung hob er die Tür leicht in den verrosteten Angeln an und drückte dagegen. Fast geräuschlos ließ sie sich ganz öffnen. Er berührte die beiden erstarrten Jungen an den Schultern und schob sie hindurch. Dann glitt er hinter ihnen hinein und schloss die Tür kraftvoll und wieder fast geräuschlos.
    »Kommt raus! Sofort!« Die Stimme des Mannes klang nun gedämpft, aber immer noch deutlich.
    »Gib mir den Schlüssel«, sagte Cale. Kleist gab ihm das Gewünschte. Cale tastete nach dem Schloss. Dann hielt er inne. Er wusste ja gar nicht, wie mit einem Schlüssel umzugehen war. »Kleist, mach du das«, flüsterte er dem
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