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Frostkuss

Frostkuss

Titel: Frostkuss
Autoren: Jennifer Estep
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»Ich kenne dein Geheimnis.«
    Daphne Cruz schob ihr Gesicht näher an den Spiegel über dem Waschbecken und trug eine weitere Schicht hellen Lipgloss auf. Sie ignorierte mich demonstrativ, wie es alle hübschen, beliebten Mädchen taten.
    Wie es jeder auf der Mythos Academy tat.
    »Ich kenne dein Geheimnis«, wiederholte ich lauter.
    Ich stieß mich von der Statue einer Meeresnymphe ab, an der ich gelehnt hatte, schlenderte zur Tür der Mädchentoilette und verschloss sie. Mir mochte es ja egal sein, ob jeder von Daphnes kleinem Geheimnis erfuhr, aber ich hätte darauf gewettet, dass sie am Ende unserer Unterhaltung daran interessiert sein würde, genau das zu verhindern.
    Sobald Daphne mit dem Glanz ihrer Lippen zufrieden war, ließ sie den Lippenstift in ihrer übergroßen, rosafarbenen Tasche von Dooney & Bourke verschwinden. Als Nächstes zog sie eine Bürste hervor und machte sich daran, ihre glatten, goldenen Strähnen zu kämmen. Sie ignorierte mich immer noch.
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte mich gegen die Tür und wartete. Die erhabenen Figuren von Kriegern und Monstern, die in die schwere Holztür geschnitzt waren, drückten sich in meinen Rücken, aber ich ignorierte die seltsamen Formen und Knubbel. Die zweihundert Dollar, die ich für diesen Job bekam, bedeuteten, dass ich es mir leisten konnte, geduldig zu sein.
    Nach weiteren zwei Minuten, als sie ihre Haare ein Dutzend Mal gekämmt hatte und erkannte, dass ich immer noch nicht, na ja, verschwand , ließ sich Daphne schließlich dazu herab, sich umzudrehen und mich anzusehen. Ihre schwarzen Augen huschten über meine Jeans, das T-Shirt mit dem Comicaufdruck und meine purpurne Kapuzenjacke. Dann gab sie ein leises, angewidertes Schnauben von sich. Offensichtlich beleidigte es ihren Modegeschmack, dass ich nicht wie sie die neuesten Designerfummel trug. Dass ich es nicht draufhatte, mich in die Clique der gleich aussehenden Mädchen einzureihen, wie sie und ihre Freundinnen es taten.
    Das Motiv des Tages war offensichtlich »Schottenmuster«, denn alles, was Daphne trug, war kariert: vom rosafarbenen Kaschmirschal über ihren schwarzen Faltenrock bis hin zu der schwarz-rosa karierten Strumpfhose, die ihre schlanken Beine hervorhob. Der Kontrast der hellen und dunklen Farben ließ sie noch perfekter wirken und betonte das sanfte Strahlen ihrer bernsteinfarbenen Haut. Genauso wie der Lipgloss.
    »Du kennst mein Geheimnis?«, wiederholte Daphne höhnisch. »Und was für ein Geheimnis sollte das sein?«
    Dann wollte die Walküre also pampig werden. Kein Problem.
    Ich lächelte. »Ich weiß, dass du das Armband mit den Anhängern gestohlen hast. Das Bettelarmband, das Carson Callahan Leta Gaston schenken wollte, um sie zu fragen, ob sie mit ihm auf den Homecoming-Ball geht. Du hast es gestern in seinem Zimmer vom Schreibtisch geklaut, als er dir bei deinem Aufsatz für Englische Literatur geholfen hat.«
    Zum ersten Mal flackerten Zweifel in Daphnes Augen auf, und ihr hübsches Gesicht verzog sich ungläubig, bevor sie es schaffte, ihre Gefühle zu verbergen. Jetzt sah sie mich an – sah mich wirklich an – und versuchte herauszufinden, wer ich war und was ich wollte. Nach einem Moment kniff sie die Augen zusammen.
    »Du bist dieses Gypsymädchen«, murmelte Daphne. »Das, das Dinge sieht.«
    Dieses Gypsymädchen. So wurde ich von fast allen auf der Mythos Academy genannt. Hauptsächlich, weil ich die einzige Gypsy auf dieser Schule für magische Krieger-Freaks war. Das Mädchen aus der Mittelschicht, dessen seltsame Gabe es hier zwischen die Reichen, Beliebten und unzweifelhaft Mächtigen geführt hatte. Wie Daphne Cruz, eine verwöhnte, verzogene Möchtegernprinzessin, die zufällig auch eine Walküre war.
    »Wie heißt du?«, fragte Daphne. »Gail? Gretchen?«
    Wow. Ich war beeindruckt, dass sie überhaupt wusste, dass mein Name mit einem G anfing.
    »Gwen«, antwortete ich. »Gwen Frost.«
    »Also, Gwen Frost«, sagte Daphne und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Handtasche. »Ich habe nicht den blassesten Schimmer, wovon du redest.«
    Ihre Stimme und Miene waren beide genauso glatt wie der goldumrahmte Spiegel vor ihr. Ich hätte ihr sogar geglaubt, hätten ihre Hände nicht ein winziges bisschen gezittert, als sie ihre Bürste zurück in die Tasche steckte. Und hätte ich nicht gewusst, wie phantastisch brave Mädchen wie sie lügen konnten.
    Wie gut fast jeder lügen konnte.
    Ich griff in meine graue Umhängetasche und
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