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Frostkuss

Frostkuss

Titel: Frostkuss
Autoren: Jennifer Estep
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zog einen durchsichtigen Plastikbeutel hervor. Darin glitzerte ein winziger silberner Anhänger in Form einer Rose. Daran gemessen, wie Daphne davor zurückschreckte, hätte es genauso gut eine Tüte voller Hasch sein können.
    »Woher … woher hast du das?«, flüsterte sie.
    »Carson hatte noch nicht alle Anhänger an Letas Armband befestigt, als er es dir während der Nachhilfestunde gestern Nachmittag gezeigt hat«, erklärte ich. »Den hier habe ich ganz hinten hinter seinem Schreibtisch gefunden. Er ist runtergefallen, als du dir das Armband geschnappt hast, um es in deine Tasche zu stopfen.«
    Daphne lachte auf und blieb damit bei ihrer Scharade. »Aber warum sollte ich so etwas tun?«
    »Weil du verrückt bist nach Carson. Du willst nicht, dass er mit Leta ausgeht. Du willst ihn für dich haben.«
    Daphne sackte in sich zusammen und ließ die Hände auf eines der Waschbecken sinken, die sich in einer Reihe unter dem Spiegel entlangzogen. Ihre Finger umfassten kurz einen der silbernen Wasserhähne, die geformt waren wie Hydraköpfe, bevor sie ins Becken rutschten. Ihre langen, gepflegten Fingernägel glitten über den Marmor, während fahle, rosafarbene Funken aus ihren Fingerspitzen schossen. Daphne mochte ja ebenso wie ich erst siebzehn sein, aber Walküren waren unglaublich stark. Ich wusste, dass Daphne Cruz, sollte ihr der Sinn danach stehen, dieses Waschbecken leichter aus der Wand reißen konnte als der Hulk.
    Vielleicht hätte ich mich vor der Walküre fürchten sollen. Vor den seltsamen Funken in prinzessinenhaftem Rosa und besonders vor ihrer Stärke und dem, was sie mir damit antun konnte. Aber ich hatte keine Angst. Ich hatte bereits eine der Personen verloren, die mir im Leben am meisten bedeutet hatten. Im Vergleich dazu verblasste alles andere.
    »Woher weißt du das alles?«, fragte Daphne. Sie sprach so leise, dass es fast ein Flüstern war.
    Ich zuckte mit den Achseln. »Wie du sagtest, ich sehe Dinge . Und sobald ich diesen Anhänger gefunden hatte, wusste ich, dass du diejenige warst, die das Armband gestohlen hat.«
    Ich erzählte Daphne sonst nichts über meine Gypsygabe, über meine Fähigkeit, die Geschichte eines Objektes zu erfahren, indem ich es einfach nur berührte, und sie fragte nicht weiter nach.
    Stattdessen starrte die Walküre mich weiterhin aus ihren schwarzen Augen an. Nach ungefähr dreißig Sekunden Schweigen hatte sie offensichtlich eine Entscheidung getroffen. Daphne nahm die Schultern zurück, griff ein weiteres Mal in ihre Tasche und zog ihre Geldbörse hervor. Sie passte perfekt zu ihrer Handtasche.
    »In Ordnung«, sagte sie. »Wie viel willst du dafür, dass du mir diesen Anhänger gibst und die ganze Geschichte vergisst? Hundert Dollar? Zwei?«
    Dieses Mal waren es meine Hände, die sich zu Fäusten ballten. Sie versuchte, mich zu bestechen. Ich hatte nichts anderes erwartet, aber trotzdem machte es mich wütend. Wie jeder andere auf der Mythos Academy konnte Daphne Cruz sich das Beste von allem leisten. Ein paar hundert Dollar bedeuteten ihr gar nichts. Sie hatte eine solche Summe für ihre verdammte Handtasche ausgegeben.
    Aber für mich waren ein paar hundert Dollar deutlich mehr als nichts. Für mich bedeuteten sie Kleidung und Comics und ein Handy und ein Dutzend anderer Dinge, um die sich Daphne nie in ihrem Leben hatte sorgen müssen.
    »Carson hat mich bereits bezahlt«, sagte ich.
    »Und?«, sagte sie. »Ich zahle dir mehr. So viel du willst.«
    »Tut mir leid. Sobald ich jemandem mein Wort gegeben habe, halte ich es auch. Und ich habe Carson versprochen, dass ich das Bettelarmband für ihn finde.«
    Daphne legte den Kopf schief, als wäre ich ein seltsames Wesen, das sie noch nie zuvor gesehen hatte – ein mythologisches Monster, das sich lediglich als Teenager tarnte. Vielleicht war es dumm von mir, das angebotene Geld nicht zu nehmen. Aber meine Mom hätte Daphnes Geld nicht genommen, nicht wenn sie schon jemand anderem ein Versprechen gegeben hätte. Meine Mom, Grace, war eine Gypsy gewesen, genau wie ich. Mit einer Gabe, genauso wie ich sie hatte.
    Für einen Moment krampfte sich mein Herz in einem Anfall von Schuldgefühlen und Sehnsucht zusammen. Meine Mom war tot, und ich vermisste sie so sehr. Ich schüttelte den Kopf in dem Versuch, den Schmerz zu vertreiben.
    »Hey, gib mir einfach das Armband. Mehr will ich nicht. Mehr will auch Carson nicht.«
    Daphne presste die Lippen zusammen. »Er … er weiß es? Dass ich das Armband gestohlen habe?
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