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Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Titel: Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
Autoren: Margit Sandemo
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1. Kapitel
    Eines Abends im Spätherbst des Jahres 1581, als sich am Himmel über Trondheim Eisnebel mit blutrotem Feuerschein vereinigte, irrten zwei Frauen durch die Straßen, ohne etwas voneinander zu wissen.
    Die eine war Silje, ein kaum siebzehnjähriges Mädchen mit Augen, die vor Einsamkeit und Hunger groß und verständnislos in die Welt schauten. Sie zog die Schultern zusammen, um sich gegen die Kälte zu schützen, und bohrte die blau gefrorenen Hände in ihre Kleider, die eher zusammengenähten Säcken glichen. Um die zerschlissenen Schuhe an ihren Füßen hatte sie Fellfetzen gebunden und über das schöne, nussbraune Haar einen Wollschal geschlungen, in den sie sich verkroch, wenn sie ein seltenes Mal eine Stelle fand, wo sie sich schlafen legen konnte.
    Silje wich in der engen Straße einer Leiche aus. Noch ein Opfer der Pest, dachte sie bei sich. Diese Pest – sie erinnerte sich nicht mehr, die wievielte es in diesem Jahrhundert war – hatte vor zwei, drei Wochen ihre ganze Familie dahingerafft und Silje gezwungen, auf Wanderschaft zu gehen, auf die Suche nach etwas Essbarem.
    Ihr Vater war Hufschmied auf einem großen Gut südlich von Trondheim gewesen, aber als er, ihre Mutter und ihre Geschwister tot waren, wurde Silje aus der kleinen Hütte verjagt, in der sie gewohnt hatten. Von welchem Nutzen konnte denn schon ein Mädchen in einer Schmiede sein?
    Im Grunde war Silje erleichtert, als sie das Gut verlassen durfte. Sie hatte dort ein Geheimnis, das sie noch niemals irgendjemandem anvertraut hatte, so tief verborgen war es in ihrem Herzen. Im Südwesten lagen die sonderbaren Berge, die sie »Schattenland« oder »Abendland« nannte. Ihre gesamte Kindheit hindurch hatten deren gewaltige Massen ihr Furcht eingeflößt und sie verzaubert. Sie lagen so weit in der Ferne, dass man sie kaum erkennen konnte. Wenn jedoch der klare Schein der Abendsonne auf die Zacken der Berge fiel, dann traten sie in einer sonderbaren, durchsichtigen Schärfe hervor, die die ungewöhnlich lebhafte Fantasie des Mädchens anregte.
    Dann konnte Silje sie stundenlang betrachten, schreckerfüllt und fasziniert zugleich. Dann sah sie sie, die namenlosen Gestalten, die dort wohnten. Sie stiegen aus den Tälern zwischen den Gipfeln empor, glitten sachte und suchend durch die Luft immer näher heran zu ihrem Haus, bis ihre bösen Augen die von Silje fanden. Silje lief dann immer fort, um sich zu verstecken.
    Eigentlich waren diese Wesen nicht namenlos. Doch die Gutsbewohner hatten stets leise von den Bergen in der Ferne gesprochen, und es waren im Grunde wohl diese Worte, die Silje zunächst erschreckt und ihre Fantasie zum Leben erweckt hatten.
Geh niemals dorthin,
sagten sie immer.
Dort gibt es nur Zauberei und Bosheit. Die Leute vom Eisvolk sind keine Menschen, sie stammen von Kälte und Dunkelheit ab, und wehe, wenn ein Mensch in die Nähe ihrer Behausungen kommt!
    Die Leute vom Eisvolk... ? Ja, so wurden diese Wesen genannt, jedoch nur Silje hatte sie durch die Luft schweben sehen.
    Sie wusste nie, wie sie diese Gestalten hätte nennen sollen. Nicht Trolle, oh nein, das waren sie nicht. Auch keine Gespenster. Teufel war eine ebenso falsche Bezeichnung. Verwunschene oder Geister aus dem Abgrund vielleicht? Einmal hatte sie gehört, wie der Gutsbesitzer eines der Pferde Dämon nannte. Das war für sie ein neues Wort, sie fand aber, das könnte auf »die« passen.
    Ihre Fantasien über das »Schattenland« waren so intensiv, dass sie im unruhigen Schlaf sogar von ihnen träumte. Als sie das Gut verlassen musste, war es für sie dann auch ganz selbstverständlich, den Bergen den Rücken zuzukehren. Einem einfachen Instinkt folgend, wählte sie den Weg nach Trondheim. Dort lebten so viele Menschen – bei denen würde sie in ihrer Einsamkeit und Not sicherlich Hilfe finden.
    Sie begriff jedoch sehr rasch, dass in einer Zeit, wo die Pest den Menschen auf Schritt und Tritt durch das Land folgte, niemand Fremde bei sich aufnehmen wollte. Und wo wütete die Krankheit am ärgsten, wenn nicht in diesen engen, schmutzigen Straßen und in den Häusern, die dicht aneinandergedrängt standen?
    Allein der Versuch, sich durch das Stadttor zu schmuggeln, hatte sie einen ganzen Tag gekostet. Am Ende war es ihr gelungen. Sie hatte sich einigen Familien angeschlossen, die in der Stadt wohnten und die nach einem kurzen Aufenthalt vor den Stadtmauern wieder zurückkehren wollten. Sie hatte sich auf der anderen Seite des Karrens gehalten und sich
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