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Packeis

Packeis

Titel: Packeis
Autoren: Clive Cussler , Paul Kemprecos
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Prolog
    Ostpreußen 1944
    Der Mercedes-Benz 770 W 150 »Großer Tourenwagen« wog mehr als vier Tonnen und war mit Stahlarmierungen versehen wie ein Panzer. Dennoch schien die siebensitzige Limousine wie ein Geist über die Decke aus frisch gefallenem Schnee hinwegzuschweben, während sie mit ausgeschalteten Scheinwerfern an schlummernden Maisfeldern vorbeiglitt, die im bläulichen Schein des Mondes funkelten.
    Als der Wagen sich einem verdunkelten Bauernhaus näherte, das in einer leichten Senke stand, trat der Fahrer behutsam auf die Bremse. Der Wagen verfiel in Schritttempo, schob sich mit der Heimlichkeit einer Katze auf Mäusejagd an das niedrige Gebäude aus Naturstein heran.
    Mit Augen, die die Farbe von Polareis hatten, blickte der Fahrer aufmerksam durch die mit Raureif bedeckte Windschutzscheibe. Das Gebäude schien leer und verlassen zu sein, doch er wollte kein Risiko eingehen. Weiße Farbe war hastig über den langen schwarzen Stahlkörper des Wagens gepinselt worden. Der plumpe Versuch einer Tarnung machte das Automobil für die Sturmowik Schlachtflugzeuge, die am Himmel kreisten wie hungrige Raubvögel, so gut wie unsichtbar, doch der Mercedes war den russischen Patrouillen, die wie Geistererscheinungen plötzlich aus dem Schnee hochsprangen, nur knapp entkommen. Gewehrkugeln hatten die Panzerung an einem Dutzend Stellen eingedellt.
    Daher wartete er.
    Der Mann, der ausgestreckt auf dem geräumigen Rücksitz der viertürigen Limousine lag, hatte gespürt, wie der Wagen bremste. Er richtete sich auf und vertrieb mit einem Blinzeln den Schlaf aus seinen Augen.
    »Was ist los?«, fragte er. Er sprach Deutsch mit ungarischem Akzent. Seine Stimme war belegt vom Schlaf.
    Der Chauffeur bedeutete seinem Fahrgast zu schweigen.
    »Irgendetwas ist nicht …«
    Das Rattern von Maschinenpistolen zerschmetterte die glasige Stille der Nacht.
    Der Fahrer rammte den Fuß aufs Bremspedal. Das massige Fahrzeug kam etwa fünfzig Meter vom Bauernhaus entfernt schlitternd zum Stehen. Der Fahrer schaltete die Zündung aus und griff nach der 9mm Luger, die auf dem Beifahrersitz lag.
    Seine Hand schloss sich fester um den Griff der Luger, als eine stämmige Gestalt in olivfarbener Uniform und Pelzmütze der Roten Armee aus der Vordertür des Bauernhauses herausstolperte.
    Der Soldat umklammerte seinen Arm und heulte wie ein von einer Biene gestochener Bulle.
    »Verdammte Faschistenhure!«, brüllte er mehrmals. Seine Stimme war heiser vor Wut und Schmerzen.
    Der russische Soldat war erst vor wenigen Minuten in das Bauernhaus eingedrungen. Das Bauernpaar hatte sich in einem Schrank versteckt, zusammengekauert unter einer Decke wie Kinder, die Angst vor der Dunkelheit haben. Er hatte den Ehemann mit einer Kugel getötet und dann der Frau, die in die winzige Küche geflüchtet war, seine Aufmerksamkeit zugewandt.
    Während er sich seine Waffe über die Schulter hängte, hatte er den Zeigefinger gekrümmt und gesäuselt: »
Frau, komm
«, das besänftigende Vorspiel zur Vergewaltigung.
    Das mit Wodka getränkte Gehirn des Soldaten versäumte, ihn zu warnen, dass er in Gefahr schwebte. Die Frau des Bauern hatte nicht um Gnade gebettelt oder war in Tränen ausgebrochen wie die anderen Frauen, die er vor ihr vergewaltigt und ermordet hatte. Sie hatte ihn mit glühenden Augen angestarrt, hatte ein Fleischmesser hinterm Rücken hervorgezogen und damit auf sein Gesicht gezielt. Er hatte im Mondlicht, das durch die Fenster hereindrang, nur ein Blitzen von Stahl wahrgenommen und den linken Arm hochgerissen, um sich zu schützen, doch die scharfe Klinge war durch den Ärmel hindurch in seinen Unterarm gedrungen. Daraufhin hatte er die Frau mit der anderen Hand zu Boden gestoßen. Doch selbst da hatte sie weiter um das Messer gekämpft. Rasend vor Wut hatte er sie mit wilden Feuerstößen aus seiner PPS-43 Maschinenpistole praktisch in zwei Hälften zerlegt.
    Während er draußen vor dem Bauernhaus stand, inspizierte der Soldat seine Wunde. Der Schnitt war nicht besonders tief, und es traten nur noch wenige Blutstropfen aus dem Riss in der Haut. Er holte eine Flasche selbst gebrannten Wodkas aus der Tasche und leerte sie. Der feurig-scharfe Alkohol, der durch seine Kehle floss, trug dazu bei, den brennenden Schmerz in seinem Arm zu betäuben. Er schleuderte die leere Flasche in den Schnee, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und machte sich auf den Weg, um seinen Kameraden zu folgen. Er würde vor ihnen damit prahlen, sich die
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