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Finsternis

Finsternis

Titel: Finsternis
Autoren: Asher Reed
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Prolog
    Vor der Finsternis
     
    „Was passiert mit uns?“, fragte eine blonde Frau entkräftet. – „Ich weiß es nicht“, erwiderte weinend eine zweite, mollige Frau.
      Es war still, Stille umgab sie, sie war ungewohnt und doch schon eine Zeitlang ihr Begleiter g ewesen. Alltägliche Geräusche waren seit zwei oder drei Tagen nicht mehr hörbar, sie traten in den Hintergrund. Kinderlachen, Straßenlärm, Hundegebell. An einem großen und dicken Baum waren sie gefesselt. Und die neuen Klänge begleiteten sie: knurren, weinen, schreien. „Bitte berühren Sie mich nicht, bitte! AUA! Verfluchte Scheiße.“
      Die blonde Frau wusste, warum die Neue, die ständig weinte und klagte, jetzt keine Berühru ngen vertrug. Die Mollige wurde hart genommen. Einfach so. Wie eine versklavte Frau, behandelt als Ware, zum Befriedigen der Männer. Und es waren viele Männer, die hier lebten.
      Am Anfang hatte sie geglaubt, sie wäre die Hauptrolle in einem Film à la The Hills Have Eyes der Marke der Terror-Movies gewesen, dann – ziemlich schnell danach – empfand sie, eher eine Darstellerin in dem Film Saw (irgendein Teil) gewesen zu sein, doch am Ende des ersten Tages war sie eine Darstellerin in Martyrs . Und als die Nacht kam, wusste sie, dass kein Horrorfilm diese Angst widerspiegeln konnte, die sie seit Stunden fühlte. Angst war ihr ständiger Begleiter geworden. Immer und überall.
      „Ich glaube, diese Wesen sind nicht da, jetzt zumindest!“, hörte die blonde Frau hinter sich s agen. Durch das Summen in ihren Ohren war ihr Gehör beeinträchtigt. Die erbärmlichen Schreie, die sie ringsum hörte, waren aber noch immer deutlich. Sie waren wie eine Botschaft, die sagt: Ihr seid die nächsten. Dass noch mehr Frauen stündlich auf ihre Vergewaltigung warteten, ließ sie von neuem erzittern. Aber sie merkte, wie unruhig die Frau wurde, mit der sie zusammengebunden an einem Baum war. Sie kratzte sie am Handgelenk. „AUA, lassen Sie das!“, sagte sie, aber die mollige Frau hinter ihr hörte nicht auf sie zu kratzen. Immer wieder brach sie in Tränen aus und angsterfüllte Schreie folgten.
      Die blonde Frau versuchte die Richtung der Schreie auszumachen, die jetzt von überall zu kommen schienen. Entkräftet war sie, vom Schreien, vom Denken, vom Fühlen – oder dem Ve rsuch nichts zu fühlen. Sie versuchte die mollige Frau hinter sich zu beruhigen, die immer nur schrie – „Hören Sie auf zu schreien, es wird nicht besser davon!“ Und die Schreie gingen in ein Wimmern über.
      „Ich weiß …, es ist schlimm …, ich bin doch Mutter“, sagte die mollige Frau.
      Und die blonde Frau dachte sich, dass sie auch Mutter war, von einem Kind, einer Tochter. Einer schönen Tochter.
      Das Mondlicht schien hell und sie fragte sich, wie lange sie das noch aushalten sollte. Erlösung musste doch eintreten, zumindest trat sie im Film Martyrs ein. Seit drei Tagen war sie hier gefangen, seit drei Tagen wurde sie vergewaltigt und wenn man ihr Essen gab, war es rohes Fleisch gewesen oder irgendetwas anderes. Beim Essen weinte sie immer. Seit ihren Schultagen als Jugendliche hatte sie nicht mehr beim Essen geweint, als es eine Zeit gab, in der sie die Nahrung verweigert hatte. Viel zu lange. Die Schnüre um ihr Handgelenk waren fester zugebunden worden, fester als gestern noch; vielleicht wusste man aus Erfahrung, dass nach Tagen der psychischen Grausamkeit der Körper abmagerte und deswegen schnürten sie die Fesseln aus Vorsichtsnahme gleich enger.
      Das Wimmern wurde wieder lauter. Die mollige Frau, die seit Stunden – als es noch Tageslicht gewesen war – klagte, weinte und wimmerte, sagte in stockenden Sätzen mit immer wieder neuem Anlauf: „Das …, das ist doch alles … alles hier verrückt! Nie mehr werde ich gemein zu jemandem sein, nie mehr, lieber Gott – nie mehr“, versprach sie und schrie dann wieder lauter.
      „Waren Sie in ihrem Leben so oft gemein, wenn Sie das sagen?“
      Die mollige Frau wurde leiser, etwas, als würde sie darüber nachdenken müssen; nachdenken über ihre eigenen Sätze, die sie in ihrer Pein sagte und über die Antworten, die sie bekam. Ihr Röcheln, ihr Schniefen und ihr gurgelndes Schlucken wurde aber schon nach wenigen Sekunden lauter und sie klagte erneut weiter. Wahrscheinlich kam der Gedanke – die Wahrheit – nicht gut an.
      Das anhaltende Summen wurde zu einem dumpfen und düsteren Brummen. Ihre Ohren sau sten und sie glaubte, dass dies mit ihrer Psyche
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