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Ein verfuehrerischer Tanz

Ein verfuehrerischer Tanz

Titel: Ein verfuehrerischer Tanz
Autoren: Tessa Dare
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    London, Juni 1817
    B rombeersoße.
    Amelia d’Orsay biss sich in die Innenseite ihrer Wange und unterdrückte einen kleinen Freudenschrei. Eine junge wohlerzogene Dame kreischte nicht spontan los, denn damit hätte sie die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich gelenkt, und Amelia hatte wenig Lust, vor den jungen Mädchen, die sie umringten, lange Erklärungen abzugeben und sich den Mund fusselig zu reden. Zumal der Grund für ihre Begeisterung weder ein triumphaler Sieg am Kartentisch war noch ein attraktiver Ehekandidat, der um ihre Hand anhalten wollte, sondern eine geniale Eingebung für eine delikate Soßenkreation.
    Sie konnte sich die Reaktion bildhaft vorstellen.
    »Oh Lady Amelia«, käme es von den jungen Damen, »wie können Sie in dieser Situation bloß ans Essen denken!«
    Bisweilen hatte man eben in den unmöglichsten Momenten einen Geistesblitz, na und? Konnte Amelia etwas dafür, dass sie ausgerechnet in einem Ballsaal stand und ihre Gedanken um die Menüs kreisten, die sie während des Sommeraufenthalts auf dem Land für ihre Familie kochen wollte? Immerhin überlegte sie schon seit Wochen, welche Kreation sie statt der Apfelschnapssoße für den gebratenen Fasan verwenden konnte. Pikant sollte sie sein, ein bisschen ausgefallen, aromatisch, fruchtig und nicht zu süß. Brombeersoße war die Idee! Abgeschmeckt mit einem Hauch Nelkenpfeffer. Oooh, das klang göttlich!
    Fest entschlossen, die Zutaten nachher in ihrem Rezeptbuch zu notieren, blendete Amelia die Idee für ihre neue Soße aus und lächelte stillvergnügt in sich hinein. Der Sommer in Briarbank versprach mal wieder perfekt zu werden.
    Mrs. Bunscombe rauschte in einer Wolke fuchsiaroter Seide an ihr vorbei.
    »Meine Damen, es ist halb zwölf«, flötete die Gastgeberin. »Fast Mitternacht.«
    Fast Mitternacht, echote es in Amelias Kopf.
    Eine Debütantin mit unschuldigem Engelsgesicht und kunstvoll gerüschten Tüllwogen ergriff Amelias Handgelenk.
    »Er kann jeden Moment hier eintreffen. Wie kannst du da so gelassen bleiben? Wenn seine Wahl heute Abend auf mich fällt, falle ich bestimmt in Ohnmacht.«
    Amelia seufzte. Es war jedes Mal das gleiche Lied. Auf jedem Ball, sobald es nach halb zwölf war.
    »Macht euch keine Gedanken wegen der Konversation«, sagte eine junge Dame in pistaziengrünem Seidenchiffon. »Er redet nicht besonders viel.«
    »Kann er überhaupt Englisch? Wie war das noch gleich? Ist er nicht in Abessinien aufgewachsen oder …«
    »Nein, nein. Er kommt aus Kanada. Natürlich spricht er Englisch. Mein Bruder spielt öfter mit ihm Karten.« Die zweite junge Frau senkte die Stimme. »Aber er hat was Animalisches an sich, findet ihr nicht? Wie er sich bewegt.«
    »Ich finde, du gibst zu viel auf Klatsch«, versetzte Amelia spitzfindig.
    »Er tanzt wie ein junger Gott«, schwärmte eine dritte junge Frau. »Beim Walzer mit ihm schwebte ich förmlich über den Boden. Er hielt mich fest an sich geschmiegt, es war traumhaft.«
    »Ach ja?« Amelia bedachte sie mit einem nachsichtigen Lächeln.
    Erst mit Beginn der diesjährigen Ballsaison war der verschlossene und schwerreiche Duke of Morland in den feinen Londoner Kreisen aufgetaucht. Nur wenige Wochen später lag ihm bereits die ganze Stadt zu Füßen. Auf jedem Ball traf der Herzog um Punkt Mitternacht ein und suchte sich eine Partnerin aus den anwesenden Damen aus. Nach einer Tanzserie begleitete er die Lady zu einem Souper, und dann … verschwand er wieder.
    Nicht lange und die Zeitungen ernannten ihn sinnigerweise zum »Duke of Midnight«, und Seine Hoheit wurde zu jedem gesellschaftlichen Ereignis eingeladen. Aus lauter Sorge, ihre Chance bei dem Herzog zu verpassen, verschmähten die unverheirateten Damen die anderen Herren und zeigten ihnen, wenn die Geisterstunde begann, die kalte Schulter. Um den dramatischen Effekt noch zu steigern, stellten die Gastgeberinnen überall Uhren auf und wiesen die Orchester an, um Schlag zwölf zu spielen zu beginnen. Keine Frage, dass die Tanzserie mit einem romantischen langsamen Walzer endete.
    Dieses nächtliche Spektakel verschaffte der Crème de la Crème einen köstlichen, fesselnden Nervenkitzel. Auf jedem Ball knisterte die parfümschwere Luft vor Spannung, sobald die Zeiger der Uhr auf Mitternacht vorrückten. Irgendwann, so wurde heimlich spekuliert, würde es einer der reizend unschuldigen Debütantinnen glücken, sich den eisernen Junggesellen zu angeln … und damit Stoff für neue Geschichten liefern. Wie die
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