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Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
Autoren: Peter de Jonge
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verbringt, beschert O’Hara trotzdem kein gutes Gefühl.
    Die ersten zwei Drittel ihrer Schicht verlaufen genauso ruhig wie erwartet. Sie liest die Post, die News und die halbe Times. Um 3.15 Uhr erhält sie einen Anruf von Paul Morelli, einem der diensthabenden Sergeants. Ein noch sehr junger Streifenpolizist namens Chamberlain habe gerade einen gewissen Marwan Overton, 19 Jahre alt, wegen sexueller Belästigung verhaftet. Ob er ihn hochbringen soll?
    »Zum Teufel, es ist Thanksgiving«, sagt O’Hara. »Das ist ein jugendfreier Festtag – Truthahnessen, ein schlechtes Footballspiel und Familie.«
    »Naja, was glauben Sie wohl, wer ihn angezeigt hat?«
    »Martha Stewart, ›Amerikas beste Hausfrau‹?«
    »Knapp daneben«, sagt Morelli. »Althea Overton – sie ist Junkie, Prostituierte und Diebin, außerdem die Mutter des Beschuldigten.«
    »Na gut, okay.«
    Wenige Minuten später führt Chamberlain Overton in Handschellen in das Büro der Beamten und nachdem O’Hara den Verdächtigen übernommen hat, bleibt er verlegen an der Tür stehen, wie jemand, der nach einem Date hofft, noch hereingebeten zu werden.
    »Ich habe gehört, Sie haben die Schicht freiwillig übernommen«, sagt er. »Ich wollte es kaum glauben.«
    Obwohl O’Hara kein Make-up, dafür aber Schuhe mit Gummisohlen trägt, sich die Haare selbst schneidet und ihre großzügigen Kurven unter locker sitzenden Hosenanzügen und strengen Hemden versteckt, kann sie niemandem etwas vormachen. Die Hälfte aller männlichen Beamten des 7. Reviers sind in sie verknallt, besonders die Jüngeren wie Chamberlain kriegen kaum ein Wort heraus, wenn sie mit ihr sprechen.
    »Hoffentlich können Sie heute wenigstens pünktlich Feierabend machen«, sagt Chamberlain.
    »Warten wir’s ab«, sagt O’Hara. »Aber danke.«
    O’Hara führt Overton auf die andere Seite des Raums und schiebt ihn in eine Gewahrsamszelle, wo er sich gleichgültig auf die Metallpritsche in der Ecke fläzt. Der Mode entsprechend ist alles, was Overton trägt, drei Nummern zu groß und unterstreicht dadurch nur, wie klein und schmächtig er ist. Overton, der für vierzehn durchgehen könnte, überragt kaum die 1,60 Meter große O’Hara. Nachdem sie seine kleinen Händchen begutachtet und ihm in die traurigen, glasigen Augen gesehen hat, vermutet sie, dass Overton zu allem Überfluss auch noch ein Crackbaby war.
    Nicht dass sich Bruno daran stören würde. Er schlägt ununterbrochen Purzelbäume, praktisch seit Overton hereingebracht wurde, und als Overton O’Hara erklärt, dass er keine Angst vor Hunden habe, rast Bruno in dessen Zelle und begrüßt ihn, als wäre er sein letzter Freund auf Erden, wobei Bruno allerdings – ohne ihm zu nahetreten zu wollen – jeden so begrüßt. Detectives achten auf das Böse im Menschen, das belastende Detail, den Widerspruch, die Lüge. Bruno interessiert sich nur für das Schöne und er findet immer etwas. Overton ist derart entwaffnet, dass man glauben könnte, Bruno in seine Zelle zu lassen, sei ein berechnender Schachzug gewesen. Wahrscheinlich war es das auch, denn zwanzig Minuten später, als ihn O’Hara aus der Zelle führt und auf sein Recht hinweist, einen Anwalt hinzuziehen, winkt Overton ohne nachzudenken ab.
    »Also Marwan«, sagt O’Hara, »willst du mir erzählen, was vorgefallen ist?«
    »Wir haben bei meiner Großmutter Thanksgiving gefeiert.«
    »Wohnst du bei ihr?«
    »Im Jacob Riis House«, sagt er, womit er die aus achtzehn Gebäuden bestehende Wohnsiedlung meint, in der sie und ihr Partner, Serge Krekorian, die Hälfte aller ihrer Festnahmen vornehmen. »Es war schön, bis meine Mom auftauchte und um Geld bettelte.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Ich wusste, sie würde bloß wieder drücken, also sagte ich nein«, erzählt Overton, sieht auf Bruno hinunter und krault ihn hinter den Ohren.
    »Und dann?«
    »Sie hat mich in mein Zimmer gezerrt, mir die Hand in die Jeans gesteckt und gesagt, sie würde es mir für zehn Dollar besorgen. Und ich hab mir so leidgetan, dass ich sie hab machen lassen. Als ich ihr danach gesagt habe, dass ich ihr kein Geld gebe und sie nie wieder sehen will, ist sie rausgerannt und hat die Bullen gerufen.«
    In puncto Phantasie, denkt O’Hara, wird man in dieser Stadt nie enttäuscht. Jeden Tag kommt es zu einer neuen überraschenden Wendung und obwohl es sich eher selten um glückliche Fügungen handelt, reagiert O’Hara in der Regel eher fasziniert als abgestoßen. Fast immer ist sie froh, in der
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