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Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
Autoren: Peter de Jonge
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ersten Reihe zu sitzen.
    Nachdem er sein Thanksgiving-Märchen erzählt hat, blickt Marwan von Bruno zu O’Hara und lässt ein kurzes, aber herzerweichendes Lächeln aufblitzen. Alles an ihm wirkt zu klein und zu jung, nur sein Blick ist steinalt.

4
     
    Am darauffolgenden Abend stehen O’Hara und Krekorian draußen vor dem Samuel Gompers House, zwei Straßen vom Revier in der Pitt Street entfernt, direkt nördlich der Auffahrt zur Williamsburg Bridge. In den sechziger Jahren war das Viertel so unbeliebt, dass es den Stadtverordneten gelang, Planung und Bau von achttausend öffentlichen Wohneinheiten zwischen Pitt Street und East River durchzusetzen. Wenn diese erst einmal alle in Eigentumswohnungen umgewandelt und deren frühere Bewohner wie Indianer in Reservate umgesiedelt wären, müssten sich O’Hara und Krekorian etwas anderes einfallen lassen, wo und wie sie ihre Überstunden zusammenkriegen. Bis dahin statten sie Wohnung 21 EEE einen Besuch ab. Es besteht der Verdacht auf häusliche Gewalt, einer der beliebtesten Gesetzesverstöße überhaupt, und da sie gerne unangemeldet erscheinen, frieren sie sich die Ärsche ab, während sie darauf warten, dass jemand die verschlossene Tür öffnet, aus dem Haus herauskommt oder hineingeht.
    O’Hara sucht Deckung vor dem Wind und stellt sich mit dem Rücken zur Tür. Sie sieht zur Pitt Street hinüber. Dem Wohnblock und seinen Tausenden darin eingepferchten Menschen gegenüber befinden sich ein scheußliches kleines China-Restaurant, eine Western-Union-Bank, die Kindergeld auszahlt, und ein Schnapsladen namens »Der Schnapsladen,« dessen Schaufenster scheinbar aus noch dickerem kugelsicherem Glas als das Papamobil bestehen.
    »Ich habe dir noch gar nicht von meinem jüngsten Thanksgiving-Fiasko erzählt«, sagt Krekorian, der so stabil gebaut ist wie ein Hydrant und dessen dunkle Haut straff wie bei einem Pitbull über seinen markanten Wangenknochen spannt. Nach vier gemeinsamen Dienstjahren sind O’Hara und Krekorian mit den ungünstigen Lebensumständen und Vorlieben des anderen vertraut. Sie weiß, dass Krekorian ausschließlich mit schwarzen Frauen ausgeht, die zwei oder drei Kinder haben. Und er weiß, dass sich O’Hara so gut wie nie mit Männern verabredet. Beide gefallen sich darin, so zu tun, als sei ihre emotionale Feigheit in erster Linie auf den Stress und die ungeregelten Arbeitszeiten zurückzuführen, die der Polizeidienst mit sich bringt.
    O’Hara weiß inzwischen, wie wenig Respekt Krekorians Familie für seinen alles andere als lukrativen Beruf aufbringt. Dass O’Hara Polizistin wurde und anstandslos ihr Abzeichen bekam, gilt in ihrer Familie dagegen als kleines Wunder, besonders aufgrund der so frühzeitigen Ankunft von Axl. Krekorians Eltern aber, die hunderttausend Dollar ausgaben, um ihn nach Colgate zu schicken, wo er vier Jahre lang in der Basketballmannschaft spielte, sind tief enttäuscht und empfinden seine Berufswahl fast als Schande. Sein jüngerer Bruder, ein Investmentbanker, nutzt Familientreffen nur allzu gerne, um dies zu unterstreichen, indem er bis zum Erbrechen davon erzählt, wie viel Geld er selbst scheffelt.
    »Was hast du diesmal gesagt, K.?«, fragt O’Hara.
    »Kein einziges Wort, Dar.«
    »Wow. Da hattest du wohl, wie Dr. Phil sagen würde, einen lichten Moment.«
    »Er hat immer weiter von seinen Sonderprämien und Aktienoptionen erzählt und ich habe ihn einfach reden lassen.«
    »Hast es wie Wasser von dir abperlen lassen?«
    »Ganz genau. Keinen Mucks. Ich saß da, hielt den Mund und wartete, bis ich mit ihm alleine war.«
    »Und dann?«
    »Hab ich ihm eine reingehauen.«
    »Vielleicht habe ich dich zu früh gelobt«, sagt O’Hara, starrt auf ihre Schuhe und versucht, sich das Lachen zu verkneifen.
    »Wenn er mir die Laune verdirbt, verderbe ich ihm seine.«
    »Ganz genau.«
    Endlich tritt ein älterer Bewohner aus der Tür in die freie Natur und die beiden Detectives gleiten hinter ihm ins Gebäudeinnere. Der Fahrstuhl steht noch geöffnet im Erdgeschoss. Als sich die Türen hinter ihnen schließen, schnaubt Krekorian mit seinen riesigen Nasenflügeln, um seine Partnerin auf eine Pfütze Katzenpisse in der Ecke aufmerksam zu machen. O’Hara klopft an die Tür von 21 EEE und kündigt sich und Krekorian als Polizeibeamte an.
    Dolores Kearns, die am Tag zuvor aufs Revier gekommen war, um ihren Freund anzuzeigen, braucht ungefähr eine Woche bis zur Tür. Sie trägt nichts außer einem Morgenmantel, aus dem ihre
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