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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage
Autoren: Keren David
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mal passieren.«
    Dann stehe ich auf und sehe vom Fenster aus Patrick mit dem galoppierenden Wolfsmonster an der Leine. Jetzt erkenne ich, dass es ein Collie-Hirtenhund-Lassie-Doppelgänger ist. Ich nehme noch einen Schluck Brandy.
    »Helen«, sagt Louise, »kann ich mal kurz mit Ty sprechen?«, und Helen sagt: »Aber selbstverständlich«, und hört sofort damit auf, Porzellanscherben vom Boden aufzusammeln, und verlässt das Zimmer. Jede Wette, dass sie draußen steht und lauscht?
    Ich setze mich aufs Sofa, lehne mich an meine Tante und hoffe, dass sie sagt, sie hat es sich anders überlegt, dass diese Sache hier garantiert ins Auge geht und dasssie noch eine andere, hundefreie Bleibe für mich kennt, zu der sie mich gleich bringt.
    Stattdessen schimpft sie mit mir. »Herrgott, was ist denn in dich gefahren, Ty? Helen und Patrick bieten dir einen Unterschlupf an, und dir fällt nichts Besseres ein, als auf sie loszugehen!«
    »Sie haben ihren Hund auf mich gehetzt.«
    »Quatsch! Mach dich nicht lächerlich. Der Hund hat nur auf deine Aggressionen reagiert.«
    »Der Alte hat meine Mum gedisst.«
    »Er ist fünfundsiebzig Jahre alt. Du kannst ihn nicht einfach anschreien, als wäre er einer deiner Gangsta-Freunde.«
    »Ich habe keine Gangsta-Freunde.« Momentan habe ich überhaupt keine Freunde.
    »Solange du hier bist, solltest du verdammt noch mal versuchen, dich einigermaßen zu benehmen und einen guten Eindruck zu hinterlassen«, sagt sie. »Sonst enttäuschst du Nicki.«
    Das ist mir egal. Ich bin immer noch sauer auf meine Mum, weil sie mir nicht gesagt hat, dass sie schwanger ist. Ich will sie sowieso nie wiedersehen.
    Ich nehme noch einen großen Schluck Brandy, ziehe die Knie an die Brust und vergrabe den Kopf in den Armen.
    »Mach du mich nicht auch noch fertig, Lou. Ich kann heute nicht noch mehr ertragen.«
    Sie nimmt mir den Brandy weg und sagt: »Das reicht jetzt.« Dann verlässt sie das Zimmer und ich schlafe sofortein. Ich wache erst wieder auf, als mir Louise zart auf die Schulter tippt. Sie hat schon ihren Mantel an.
    »Ich muss jetzt los, Ty, aber ich verspreche dir, dass ich in ein paar Wochen wiederkomme. Du musst die ganze Zeit im Haus bleiben, geh am besten auch nicht ans Fenster, und tu alles, was Helen und Patrick dir sagen. Und benimm dich. Keine Anrufe, keine Briefe, kein Kontakt nach außen. Und färb dir die Haare wieder schwarz. Das dürfte hilfreich sein, falls du wieder woanders hinmusst. Dann können wir dich als Goth verkleiden. Hast du verstanden?«
    »Geh nicht weg … Lou, bitte, lass mich nicht hier …«
    Sie beugt sich runter und gibt mir einen Kuss. »Alles wird gut. Ganz bestimmt. Pass auf dich auf.«
    Dann ist sie weg. Ich höre, wie die Haustür zuknallt. Sie hat mich verlassen. Und ich habe keine Ahnung, bei wem sie mich hier abgeliefert hat.
    Helen kommt ins Zimmer, setzt sich hin und sagt: »Es tut mir leid, Patrick ist nicht sehr taktvoll. Aber du gewöhnst dich schon noch an ihn.«
    »Ja. Ähm. Entschuldigung.«
    Sie sieht mich an. Ich weiß, dass ich dreckig und verschwitzt aussehe, sie muss es mir nicht noch unter die Nase reiben. Ich schaue woanders hin, wieder zu den Fotos auf dem Klavier. Vielleicht kriege ich heraus, mit welcher von Louises Freundinnen sie verwandt sind. Vielleicht mit Sally, der Erdkundelehrerin an ihrer Schule. Die ist so ein bisschen vornehm… Halt! Was ist das?
    Auf dem Klavier steht ein Bild, das ich kenne. Das bin ich mit acht Jahren, mit Hemd und Krawatte; das war, als Gran darauf bestanden hat, dass ich zur Erstkommunion gehe. Was hat dieses Foto hier zu suchen?
    Sie folgt meinem Blick. »Das hat uns Louise gegeben«, sagt sie. »Es hat mir schon immer sehr gut gefallen. Wunderst du dich, es hier zu sehen?«
    »Ja, schon.«
    Sie zeigt mir ein anderes. Auf dem Foto ist ein seltsamer Junge. Er sieht total traurig aus, hat riesengroße blaue Augen und in der Hand hält er ein flauschiges weißes Spielzeugpferd. Er kommt mir ein bisschen wie ein Außerirdischer vor. Vielleicht ist es der Junge von dem anderen Foto – der mit den vielen Schwestern?
    »Kannst du dich noch an das Pferd erinnern?«, fragt sie. »Es hat dir immer so gut gefallen.«
    Wovon redet sie da? Ich habe nie ein Spielzeugpferd gehabt, ich habe grüne Augen, und ich sehe auf gar keinen Fall so eigenartig aus wie dieser Junge. Sie muss ganz schön verwirrt sein. Alte Leute bringen schnell mal was durcheinander.
    »Äh. Nein«, sage ich so höflich wie möglich.
    »Wie geht
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