Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage
Autoren: Keren David
Vom Netzwerk:
meine Tante. »Wir sehen uns bald wieder. Pass du auf dich selbst auf.«
    Dann legt sie mir den Arm um die Schultern und führt mich nach unten in die Tiefgarage, wo ihr Auto steht.

Kapitel 2
Buckingham Palace
    Ich liege auf dem Rücksitz von Louises Auto und frage mich, wo um alles in der Welt sie mich hinbringt. Louise fährt wie eine Wahnsinnige, mir ist schon richtig schlecht, dabei bin ich eigentlich total schläfrig. Entweder ich schlafe bald ein oder ich muss mich übergeben, es kommt nur darauf an, was zuerst passiert.
    Ich habe sie gefragt, wo wir hinfahren. Sie hat nur geantwortet: »Sei still, Ty, ich muss nachdenken«, und zwar so energisch, dass ich nicht noch mal gefragt habe. Ich bin schon alle ihre Freundinnen durchgegangen und hab mir überlegt, bei welcher ich am wenigsten ungern bleiben würde. Die meisten von ihnen sind Lehrerinnen und sehr ernsthaft. Mum nennt sie die Schlaftablettenbrigade. Aber die wohnen alle in London. Dort bringt sie mich bestimmt nicht hin.
    Irgendwo haben wir ungefähr zehn Minuten angehalten, und ich dachte schon, dass sie mir was zu essen holt, ich habe noch nicht mal gefrühstückt. Aber sie hat mich nur in einen Fotofix gescheucht und ein Foto von mir gemacht. Dann hat sie mir einen Marsriegel in die Hand gedrückt und gesagt: »Das muss als Mittagessenreichen. Ich will schnell vorankommen.« Louise ist die reinste Gesundheitsfanatikerin. Bis dahin wusste ich nicht, dass sie überhaupt schon mal was von Mars gehört hat. Ich hab mich wieder auf den Rücksitz gelegt und den Riegel gegessen, während wir über irgendwelche Landsträßchen gerumpelt sind. Keine besonders tolle Erfahrung.
    »Wozu brauchst du ein Foto von mir? Krieg ich einen Reisepass?«, frage ich und sie antwortet: »Schsch! Ich denke immer noch nach.« Also stelle ich mir vor, dass ich schon bald irgendwohin fliege, nach Spanien oder so. Vielleicht bucht sie mich irgendwo allein in einem Hotel ein, und vielleicht kriege ich es irgendwie hin, dass Claire mich dort besucht …
    »Darf ich mich umziehen?«, frage ich, denn ich habe immer noch meine verschwitzten Laufklamotten an. Obwohl ich eine Kapuzenjacke drübergezogen habe, rieche ich nicht besonders, alles ist feucht und ich fühle mich ziemlich unwohl. Aber sie sagt: »Ty, es gibt jetzt Wichtigeres als dein Aussehen.« Louise ist meistens ein bisschen bissig, aber jetzt gerade hat sie besonders miese Laune.
    Irgendwann spricht sie dann doch mit mir. Ich muss mich anstrengen, sie zu verstehen, denn der Motor ist ziemlich laut und ihre Stimme leise, außerdem bin ich zu müde, um ihren Worten lange zu folgen. Ich versuche einfach, etwas Passendes zu erwidern, damit sie nicht gleich wieder sauer auf mich wird.
    »Lehrerausbildung … Eltern … verstehst du?«, sagt sie, und ich sage: »Ja.«
    Und dann: »… seltsam … sehr nett … schon lange her … noch klein …«
    »Mhmm«, sage ich, aber dann muss ich richtig weggenickt sein, denn ich wache erst auf, als der Wagen anhält und Louise sagt: »Da wären wir.«
    »Mmppf. Wo denn?«
    »Wir sind da. Vor ihrem Haus.«
    Mir ist warm und ich schwitze schon wieder und meine Zähne sind ganz pelzig von dem Marsriegel. Ich habe ihn nicht ganz aufgegessen und jetzt ist die Schokolade über meine Hände und meinen Kapuzenpulli verschmiert.
    »Ach so, ja, gut.« Wenn ich jetzt groß nachfrage, wird sie bestimmt wütend, sie hat mich ja vorhin auf der Fahrt ewig lange zugetextet.
    Wir stehen auf einer mit Kies bestreuten Einfahrt, die zu einem riesigen roten Backsteinhaus führt. Vor dem Haus ist ein großer Vorgarten mit Lavendelbüschen und Blumenkübeln und an der Fassade rankt sich eine rotblättrige Kletterpflanze hoch. Die wuchtige grüne Haustür ist wahrscheinlich die größte, die ich je gesehen habe. Louise muss ein paar echt reiche Leute kennen.
    »Komm schon«, sagt sie und nimmt meine Tasche aus dem Kofferraum. »Ich möchte nicht, dass der Wagen lange hier steht, nur für alle Fälle.«
    »Aber, Louise … warte …«, sage ich und trotte hinter ihr her bis zur Haustür, wo sie sofort klingelt. Sie sieht aus wie immer – sauber und elegant und gepflegt. Ich rieche nach abgestandenem Schweiß und bin mit Schokolade verschmiert. Ich spucke in die Hände und verteileden geschmolzenen Marsriegel zumindest teilweise auf meine Laufhose. Lou legt den Arm um mich und sagt: »Keine Bange, sie sind sehr nett.«
    Die Tür geht auf. Zwei alte Leute. Sie müssen die Eltern einer ihrer Freundinnen sein.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher