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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage
Autoren: Keren David
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von Kriminellen kommt, die mich zum Schweigen bringen will. Dass ich eine neue Identität bekommen habe und auf eine andere Schule geschickt worden bin, aber dann wieder umziehen musste – »Ty kann euch die Einzelheiten später erzählen«, sagt sie. Ja, klar, ganz bestimmt. Dann erzählt sie ihnen, wie Alistair erschossen wurde.
    Ich konzentriere mich auf andere Dinge. Auf dem Klavier stehen Hunderte von Fotos, alle in silbernen Rahmen. Ich sehe Hochzeiten und Taufen, Kinder in Schuluniformen und die Porträts fröhlicher Familien. Ich zähle ein, zwei, drei Hochzeiten. Haufenweise Kinder. Sie müssen eine große Familie haben, aber ein Bild interessiert mich besonders – ein kleiner Junge mit dunklen, zerzausten Haaren und drei ältere Schwestern. Der Typ hat’s bestimmt nicht leicht, die Mädchen sehen ganz so aus, als könnten sie einen gut herumkommandieren.
    Ich habe den Faden von Lous Geschichte verloren und versuche auszublenden, was sie gerade erzählt: Alistair … Schüsse … Polizei. Die Worte schweben rings um mich her durch die Luft. Aber dann höre ich, wie sie sagt: »Deshalb habe ich euch angerufen. Ich vertraue der Polizei nicht mehr, und Mum muss sich um Nicki kümmern, jetzt, wo sie in anderen Umständen ist.«
    Ich zucke zusammen. Meine Teetasse fällt runter undrollt über den Teppich. Louise kann doch nicht tatsächlich gesagt … gemeint haben, dass …
    »Nicki ist was? Was redest du da?« Meine Stimme krächzt ganz heiser.
    Louise schlägt die Hand vor den Mund. Helen beißt sich auf die Unterlippe. Lou schüttelt den Kopf und sagt: »Ty, es tut mir leid, Ty, Liebling … ich dachte, du weißt das. Hat sie es dir nicht gesagt?«
    »Niemand hat mir irgendwas gesagt. Was soll das alles?«
    »Deshalb hat sie sich wieder mit Alistair in Verbindung gesetzt. Weil sie ihm sagen wollte, dass sie ein Kind von ihm erwartet.«
    »Aber … die kennen sich doch kaum … es war doch nur diese eine Nacht …« Ich bin dermaßen geschockt, ich vergesse vollkommen, dass diese Freunde von ihr zuhören. Ich versuche einfach nur, das alles auf die Reihe zu kriegen.
    »Na, typisch«, schnaubt Patrick. Diesen Ton kenne ich ganz genau.
    Helen will ihn beschwichtigen, und Lou sagt: »Bleib ruhig, Ty«, aber ich springe auf. Teetassen fliegen in alle Richtungen. Die Zeiten sind vorbei, ich lasse nicht mehr zu, dass jemand meine Mum schlechtmacht. Meine Hände ballen sich zu Fäusten und die Muskeln an meinen Armen spannen sich.
    Ich mache schwer atmend einen Schritt auf ihn zu. Er sieht mich stirnrunzelnd an. »Halten Sie sofort die Klappe!«, schreie ich. »Sonst helfe ich nach!«

Kapitel 3
Der Wolf
    Ich glaube nicht, dass ich ihn wirklich geschlagen hätte, aber das dürfte endgültig nicht zu klären sein, denn auf einmal kommt ein riesiges, wolfsähnliches Vieh knurrend und jaulend auf mich zugeschossen. Es springt mir gegen die Brust und wirft mich rückwärts zu Boden, sein riesiges Maul direkt vor meinem Gesicht. Aus dem Maul kommt ohrenbetäubendes Bellen und ein widerlicher Geruch. Umherfliegender Sabber nimmt mir die Sicht und rasiermesserscharfe gelbe Zähne fassen meine Kehle.
    Auf einmal ist das Wolfsmonster wieder weg. Ich sitze auf dem Boden, mit dem Rücken ans Sofa gelehnt, und Helen reicht mir eine Tasse. Ich nehme einen großen Schluck und ersticke fast. Ich hatte Wasser erwartet, aber es brennt tierisch im Hals, und dem Geruch nach ist es das Zeug, das die alten Penner immer im Park trinken … Fusel, das ist es!
    »Bäh! Was war das denn?«, frage ich und Tränen laufen mir übers Gesicht.
    »Das ist Brandy. Gegen den Schreck.«
    Ich betaste meinen Hals und mein Gesicht, um zu erkunden,ob noch alles da ist. Wie durch ein Wunder spüre ich weder Fleischfetzen noch heraussprudelndes Blut. »Ist der Wolf wieder weg?«, erkundige ich mich und sehe mich nervös um.
    Louise sitzt auf dem Sofa und hat mir die Hand auf die Schulter gelegt. Ich glaube, sie unterdrückt ein Lachen.
    »Das war ein Hund, Ty. Wölfe gibt’s nur im Zoo, nicht bei Leuten zu Hause.«
    Mein Gesicht ist ganz heiß. Ich weiß natürlich, dass es ein Hund war, klar. Mir ist einfach nur das falsche Wort rausgerutscht. Dort, wo ich herkomme, ist ein Hund eine Waffe, so wie ein Messer. Seit ich mal schlechte Erfahrungen mit einem ausgerissenen Rottweiler gemacht habe – damals war ich sieben –, bin ich mit Hunden eher vorsichtig. Helen muss mich für ein bisschen behindert halten, denn sie sagt: »Aber das kann doch jedem
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