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Die Landkarte des Himmels

Die Landkarte des Himmels

Titel: Die Landkarte des Himmels
Autoren: Félix J. Palma
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zur Zeitreise getan hatte, während er sich noch fragte, was wohl der Grund für diesen neuen Brief sein mochte. Nie hätte er geglaubt, dass wirklich Liebe der Grund war, wie er jetzt wusste. Natürlich würde das nichts an der Verstörung seines Doppelgängers ändern, der sich nach wie vor über die Dreistigkeit ärgern würde, mit der Murray ihn bat, ihm bei der Nachstellung der Marsinvasion zu helfen, so wie er sie in seinem Roman beschrieben hatte. Ungläubig würde er den Brief mehrmals lesen, aber nie beantworten. Er würde ihn zwischen den Seiten seines Buches begraben und dann vergessen. Er hasste Murray viel zu sehr, um ihm auch nur irgendeine Art von Hilfe angedeihen zu lassen, da mochte er so verliebt sein, wie er wollte. Jetzt aber hasste er ihn ja nicht mehr. Nach dem, was sie zusammen erlebt hatten, hegte er nicht mehr den geringsten Groll gegen ihn. Die Liebe hatte aus Murray einen anderen Menschen gemacht, hatte ihm seinen Egoismus genommen und ihn zu jemand werden lassen, der sein Leben für die Gefährten opferte. Und als Wells sich in den Kloaken von London von ihm verabschiedet hatte, hatte er ihn um Verzeihung dafür gebeten, seinen Brief nicht beantwortet zu haben. «Wenn ich ihn jetzt bekäme, würde ich nicht zögern, ihn zu beantworten», hatte er gesagt. Und genau das würde in zwei Tagen passieren: Er würde diesen Brief noch einmal bekommen. Also setzte er sich zu Hause an den Tisch, legte ein Blatt Papier vor sich hin und daneben die Schreibfeder, betrachtete das Ganze und dachte über eine Antwort nach. Natürlich konnte er ihm nicht helfen, die Marsinvasion nachzustellen, denn das überstieg bei weitem seine Mittel und war ja auch gar nicht nötig. Er dachte daran, wie Miss Harlows Zuneigung zu Murray während ihrer Flucht vor den Kampfmaschinen langsam gewachsen war, und vor allem dachte er an ihr glockenhelles Lachen, als Murray versucht hatte, auf der verlassenen Farm die Kuh zu melken. Das musste Murray also tun, mehr war gar nicht nötig. Er beugte sich über das Blatt Papier und begann mit seiner steilen, etwas kindlich wirkenden Schrift, die er sich nach jahrelangem Üben mit der linken Hand zugelegt hatte, den Brief zu schreiben, der ihm von allen seinen mit elegantester Zierschrift je geschriebenen Briefen die größte Befriedigung bereiten sollte:
    Lieber Gilliam,
    es wird Ihnen merkwürdig vorkommen, aber Sie verliebt zu wissen, erfüllt mich mit großem Glück. Dennoch kann ich nur wenig mehr für Sie tun, als Ihnen den Rat zu geben, sich nicht mit der Reproduktion der Marsinvasion zu verausgaben. Bringen Sie die junge Dame zum Lachen. Ja, bringen Sie sie dazu, ihr Lachen wie klingende Silbermünzen in der Luft tanzen zu lassen. Dann wird sie für immer die Ihre sein.
    Mit einer herzlichen Umarmung, Ihr Freund
    George
    Er steckte den Brief in einen Umschlag, schrieb die Adresse von ZEITREISEN MURRAY darauf und warf ihn drei Tage später in einen Briefkasten. Wieder zu Hause, musste Wells unwillkürlich lächeln, als er daran dachte, was für ein ungläubiges Gesicht Murray machen würde, wenn er den Brief las. Der Unternehmer würde den freundlichen Ton des Briefes und dass Wells sich am Ende noch als sein Freund bezeichnete, kaum nachvollziehen können, aber trotzdem; Das hatte er sich nicht nehmen lassen wollen. Vielleicht würde Murray sogar erkennen, dass, wenn es das Schönste auf der Welt war, die wahre Liebe zu finden, es genauso schön war, einen Freund zu finden.

XLIII
    Am 1 . August, dem Tag, an dem die Marsmenschen auf der Erde landen sollten, machte sich H. G. Wells schon früh auf den Weg nach Horsell, um sich den Flugapparat anzusehen, der angeblich in der Nacht auf dem Gemeindeanger niedergegangen war. Die Kutsche hielt am Rand der Wiese, wo ein so verkeiltes Durcheinander von anderen Kutschen, Karren und Zweispännern herrschte, dass kein Durchkommen mehr war. Er bezahlte den Kutscher und schlenderte zu der Stelle, wo sich die Schaulustigen zusammendrängten und ihm noch den Blick auf den Flugapparat verwehrten. Da er beim ersten Mal in Begleitung von Scotland-Yard-Agent Clayton gewesen war, hatte er nicht die nötige Ruhe gehabt, sich alles ganz genau anzusehen; doch jetzt wollte er sich jede Einzelheit einprägen und sich einen umfassenden Eindruck von dem Bild verschaffen, das er ja in seinem Roman bereits gemalt hatte. Mit dem zufriedenen Lächeln eines Flaneurs schob Wells sich durch die Menge der Neugierigen, die zumeist aus Woking und Chertsey
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